Biografie einer Stadtstreicherin

Frida Grünfeld kommt im Jahr 1908 in Bratislava als Tochter einer ungarisch-jüdischen Familie auf die Welt, wird unverheiratet schwanger, gibt ihr Kind in die Obhut von Pflegeeltern und lebt fortan als ‚Stadtstreicherin‘ in verschiedenen Teilen des heutigen Tschechiens und der Slowakei. Da sie selten einen fixen Wohnsitz hat und sich als Sexarbeiterin über Wasser hält, taucht sie bald in den örtlichen Polizeiakten auf, wo sie u.a. des Landesverrats verdächtigt wird. Auch die Wirren des Zweiten Weltkriegs und die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung durch die Nazis machen vor der jungen Frau nicht halt – sie landet im KZ Ravensbrück und wird zu Zwangsarbeit verpflichtet. Jahrzehnte später macht sich ihre Enkelin, die Autorin und Filmemacherin Nina F. Grünfeld, auf die Suche nach den Spuren ihrer Vorfahrin. Durch persönliche Gespräche mit Zeitzeug:innen, Archivarbeit und historische Recherchen entsteht nach und nach ein immer klareres Bild der unbekannten Großmutter. Dennoch bleibt vieles offen – an diesen Stellen nimmt sich die Autorin Raum für ihre eigene Fantasie und spekuliert über den möglichen Hergang der Ereignisse. Außerdem lässt uns die Biografin immer wieder an den Mühen ihrer Recherchearbeit teilhaben und berichtet dabei ebenso von ungehaltener Neugier wie herben Rückschlägen. Entstanden ist ein liebevolles und persönliches Porträt ihrer Großmutter, das auf Mikroebene auch interessante Details europäischer Geschichte (insbesondere der ehemaligen Tschechoslowakei) vermittelt.
ReSt
Nina F. Grünfeld: Frida. Die Suche nach meiner unbekannten Großmutter. Aus dem Norweg. von Ulrich Sonnenberg. 335 Seiten, Schöffling & Co., Frankfurt/M. 2022 EUR 28,80