Blitze werden zu Fragen

Der Roman der Berliner Autorin und Musikerin Marlen Pelny verhandelt ein schwieriges Thema, den Mord an der vierzehnjährigen Etty. Es geht weniger um die Aufklärung des Mordfalls als um den Umgang mit dem Verlust. Wie können nahe Angehörige diesen verkraften und verarbeiten? Die Ich-Erzählerin und Sophie sind die engsten Freundinnen von Heide, der alleinerziehenden Mutter der Ermordeten. Das Unfassbare oder den Irrsinn greifbar zu machen, ist aus der Ich-Perspektive geschickt eingefädelt, indem die Leserin in das Alltagsleben und die Gedanken der Ich-Erzählerin eingebunden wird. Sie ist Realisatorin für Dokumentarfilme und pflegt ein inniges Verhältnis zu ihrer Großmutter, welche dabei ist, krankheitsbedingt ihre Eigenständigkeit zu verlieren und pflegebedürftig zu werden. Kommerzialisierte Fernsehsender und die Polizei melden sich bei Heide und nerven. Welche Gespräche können die beiden Freundinnen mit Heide führen? Es werden von Sophie alltägliche Lappalien erzählt, um den Mord an Etty zu umschiffen. Alkohol und ein Joint ersetzen pharmazeutische Beruhigungsmittel. Heide wird ein zweitägiger Sonderurlaub gestattet, um den Mord an ihrer Tochter zu verarbeiten, was an Zynismus grenzt. Die Ich-Erzählerin beschließt in ihrer neuen Wohnung, eingekesselt von Umzugskartons, dass sie in der flirrenden Stadt nicht bleiben will. Behutsam und sensibel beschreibt Pelny die psychischen Phasen, die die drei Freundinnen in den ersten Tagen nach Ettys Ermordung durchlaufen. Sprachlich ist der Autorin eine glaubwürdige, kluge Rekonstruktion in einer für die Angehörigen unmöglichen Zeit gelungen. Empfehlenswert!
ML
Marlen Pelny: Warum wir noch hier sind. 240 Seiten, Haymon Verlag, Innsbruck 2023 EUR 22,90