Entwurzelt
Mariam Meetra drückt mit ihren Gedichten die Sehnsucht nach einem Ort – konkret Kabul aus, das in dieser Form nicht mehr bzw. nur mehr in Erinnerungen existiert. Themen wie Krieg und Flucht finden ebenso Raum und wechseln sich mit friedvollen Kindheitserinnerungen ab. Ihre Sprache schwankt zwischen gefühlvollen Sätzen, die Gefahr nur latent andeuten und klaren und anklagenden Formulierungen, die den Krieg und die Folgen für die in Afghanistan lebenden Menschen und besonders die Frauen und Mädchen thematisieren. Zentrale und immer wiederkehrende Bilder sind der Wind, die Nacht, das Haus und Vögel – diese verdeutlichen den Verlust von Heimat und das damit einhergehende Verlieren von Zeit, dem Heimatort an sich und zu einem Stück weit sich selbst. Meetra beschreibt jedoch auch ein hoffnungsvolles Wiederfinden der Heimat, nicht als physischen Ort, sondern in Sprache und im Selbst. Im Band befinden sich die Texte in Originalsprache Dari, begleitet von den deutschen Übersetzungen. Den Gedichten folgt ein Nachwort von Ali Abdollahi. Dieser meint, dass Meetras Gedichte zwar als weiblich, aber nicht als feministisch zu verstehen sind, da sie, laut seinen Angaben, das durch den Krieg verursachte Leid aller Menschen und nicht ausschließlich jenes von Frauen thematisieren. Hier ist klar zu widersprechen, denn das Patriarchat schadet allen Menschen, die in ihm leben und Aufgabe des Feminismus ist es mitunter, patriarchale Strukturen zu benennen, zu dekonstruieren und zu zerschlagen. Genau dies tut Meetra unter anderem in ihren Gedichten.
Andrea Knabl
Mariam Meetra: Ich habe den Zorn des Windes gesehen. Persisch-Deutsch. Aus dem Pers. (Dari) von Ali Abdollahi, Susanne Baghestani, Sylvia Geist und Kurt Scharf. 130 Seiten, Wallstein, Göttingen 2023 EUR 22,70