Militante Untersuchung am Küchentisch
Es ist erfreulich, wenn Klassenerfahrungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, denn es sind vor allem ökonomische Voraussetzungen, die den Status in einer Gesellschaft bestimmen. Es geht in dem kollektiven Beitrag nicht nur um Lohnarbeitserfahrungen, sondern auch um Primärsozialisationsprägungen und soziale Mobilität. Anhand eines qualitativen Fragebogens wurden Gespräche mit elf Frauen geführt. Arbeit, um finanziell abgesichert zu sein, ist in der Elterngeneration eine signifikante Konstante. Es ist Eltern wichtig, dass ihre Tochter durch Lohnarbeit ihre Existenzgrundlage sichern kann. Es klingt jedoch auch an, dass Arbeit nicht alles ist. Eine Sozialisationserfahrung ist, dass reflektierte Geschmacksentwicklung in der Mode oder Musik für die interviewten Frauen mit weniger Selbstbewusstsein behaftet ist oder die Selbstpräsentation über die eigenen Freizeitaktivitäten in universitären Kreisen mit Scham verbunden ist. Klassismus ist rückblickend für die Interviewten eine frühe schmerzhafte Erfahrung, da dadurch Unsicherheitsmomente, Überforderung und Ausschlüsse markiert werden. Der Aufstieg in eine andere Klasse erfordert eine Veränderung der persönlichen Sprachentwicklung in eine akademische Sprache, die die Eltern nicht mehr verstehen können. Der Band bietet sehr viele charakteristische Einschätzungen dahingehend, dass die objektive, unterdrückte Klasse nicht verschwunden ist und es wichtiger denn je ist, subjektive kollektive Stimmen zu entwickeln. Eine gut verständliche Umsetzung.
ML
Working Class Daughters – Über Klasse sprechen. Hg. von Karolina Dreit und Kristina Dreit. Mit Fotgrafien von Selina Lampe. 164 Seiten, Mandelbaum, Wien 2024 EUR 20,00