Aber hier leben…

Erinnerungen werden bestimmt durch politische Geschehen, im schlimmsten Fall Kriege, die verschiedene Gegenwarten schaffen, die wir, während wir leben, in Erinnerungsfragmente verwandelt, nicht verknüpfen können zu einer chronologischen Gesamterzählung unseres Daseins. Ort der Geschehnisse ist Belgrad in den 90er Jahren, in den Allneunzigern, in der verschissenen Zeit, in der die Kulturtechnik des Versauerns gepflegt wird. Mithilfe der von Miomir, dem Jugonostalgiker, gebauten Zeitmaschine beschließen Kassandra, Vanja und Marko die lähmenden 90er Jahre zu überspringen. Der kürzlich erschienene Roman von Barbi Marković umfasst ein Panoptikum Belgrads nach dem Zerfall Jugoslawiens. Ergänzt wird das überaus gelungene Werk, dessen dichter Inhalt und politische Kommentare schwer in ein paar wenige Sätze zu fassen sind, durch das gleichnamige Rollenspiel (Beiheft) – eine Fortsetzung der Handlung für interessierte Leser*innen und mit weiteren wesentlichen Informationen über den Lebensalltag der drei Held*innen.

Laura Derma

Barbi Marković: Die verschissene Zeit. Roman. 304 Seiten. Residenz Verlag, Salzburg – Wien 2021 EUR 24,00