Die ‚Neue Frau‘

Ende der 1920er Jahre gerät Lotte Lasterstein mit ihren herausragenden und originellen Porträts erstmals in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit. Es waren Werke wie Im Gasthaus oder Russisches Mädchen mit Puderdose, die ihren unverkennbaren Blick auf die Frauen ihrer Zeit offenbarten. Frauen, die für sich selbst existieren, die autonom handeln, sich elegant kleiden und einen kritischen Blick wagen. Einen emanzipierten und kosmopolitischen Frauentypus, den sie in den Straßen Berlins beobachtet und der weder dem traditionell häuslichen Frauenbild noch einem anonymisierten Individuum innerhalb der Massengesellschaft entspricht.

Laserstein selbst verschrieb sich bereits als Kind der Kunst, entschied dezidiert, nicht zu heiraten und selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Auch behauptete sie sich – für die Zeit noch untypisch – in der Aktmalerei, nicht zuletzt auch durch ihre Muse und enge Vertraute Traute Rose. Gerade als ihre Karriere als Malerin und Betreiberin einer Malschule Fahrt aufnimmt, beginnt das NS-Regime alle gesellschaftlichen Bereiche zu zersetzen und erteilt ihr als „Dreivierteljüdin“ Ausstellungsverbot. Die Emigration gelingt Laserstein durch eine Ausstellung in Stockholm, wo sie mit einem großen Teil ihrer wichtigen Werke bleiben kann. Ihr visionäres Werk, dessen wegweisender Stil vom Sachlichen Realismus in die Neue Sachlichkeit überführt, sollte im deutschsprachigen Raum erst Jahrzehnte später – zu spät wie die Malerin meinte – wiederentdeckt werden.

MD

Elke-Vera Kotowski: Lotte Laserstein. Die Porträtistin der neuen Sachlichkeit. 58 Seiten, Hentrich & Hentrich, Berlin/Leipzig 2022 EUR 9,20