Eine Grande Dame des Feminismus

Die Filmemacherin und feministische Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun hat nun ihre Lebensgeschichte veröffentlicht. Den Schwerpunkt legt sie dabei weniger auf emotionale, persönlich berührende oder familiäre Ereignisse als auf einen historischen intellektuellen Rückblick, wie sich der Feminismus in den letzten Jahrzehnten international entwickelt hat und welche Vernetzungsrolle sie selbst dabei innehatte, nachdem sie u.a. 1994 auch die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für die interdisziplinären Gender Studies in Deutschland war. Berufliche und persönliche Beziehungen werden hervorgehoben, wenn diese für sie in ihren Forschungsansätzen erkenntnisreich waren. Ihre künstlerische Abkehr von der Produktion von Dokumentarfilmen hing zweifelsohne aus ihrer Sicht damit zusammen, dass ihr analytisch die Verschriftlichung mehr Möglichkeiten der Interpretation eröffnete, die der Blick der fotografischen paralysierten Einstellung nicht herzugeben vermochte. Auch wenn sich die kosmopolitane von Braun, die aus privilegierten Verhältnissen stammt, wenig mit Klassismus in ihrer Forschung beschäftigt, so lässt sie sich als gesellschaftliche Seismographin verstehen, die feministische Errungenschaften thematisiert und gut auf den Punkt bringt sowohl auf sich selbst bezogen wie auch auf gesellschaftliche Umstände. Ihr Klassiker „Nicht ich“ ist auch heute noch ein wichtiges feministisches Standardwerk. Wer gern einen Überblick über feministische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte komprimiert nachvollziehen will, erhält in der vorliegenden Autobiografie viele Erkenntnisschritte zur feministischen Selbstermächtigung.
ML
Christina von Braun: Geschlecht. Eine persönliche und eine politische Geschichte. 364 Seiten, Propyläen Verlag, Berlin 2021, EUR 24,70