mach auf zeig her fass an

Die Gedichte der Moskauer Lyrikerin Maria Stepanova ziehen eine* sofort in den Bann, mit derselben Wucht, mit der die Männer in ihnen den jungen Mädchen nachsteigen. Drei rasende, atemlose Gedichtzyklen vereint der Band: Mädchen ohne Kleider, Kleider ohne uns und Bist du Luft. Jeder Zyklus hat seine eigene lyrische Sprache, Klang, Form und Rhythmus. Schonungslos klagt Mädchen ohne Kleider an: das Patriarchat und den pornographisch gewaltvollen Zugriff auf den Frauenkörper – mit einer Sprachkunst, die umhaut. Die ausgezogenen Kleider scheinen spätestens in Kleider ohne uns zur Metapher für die nackte Haut selbst zu werden. Und nackt ist auch die Wahrheit, mit der sich Maria Stepanova in den Lyrikhimmel schreibt und nicht nur nebenbei die russische Autokratie anklagt. Der Band ist zweisprachig, enthält auf der linken Seite jeweils das russische Original, rechts die deutsche Übersetzung. Großartig für Russisch Lesende, aber auch für alle: die Thematisierung des Übersetzt-Worden-Seins und die Sichtbarkeit der fulminanten Arbeit der Übersetzerin.

Eva Hallama

Maria Stepanova: Mädchen ohne Kleider. Aus dem Russ. von Olga Radetzkaja. 69 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2022 EUR 23,70