Rebellion und Zärtlichkeit

Carolin Wiedemann geht der Frage nach, inwieweit gegenwärtige feministische Bewegungen und alternative Lebens- und Beziehungsweisen die patriarchale Ordnung speziell in ihrer neoliberalen Ausformung herausfordern können. Sie beleuchtet das breite misogyne Spektrum antifeministischer Backlashes, das Incels und katholischen Abtreibungsgegnerinnen ebenso umfasst wie sogenannte Liberale und linke Machos. Sie problematisiert die Entstehungsgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, die Herstellung männlicher Privilegien und Besitzverhältnisse, die sie an das Konstrukt der romantischen Liebe und Zweigeschlechtlichkeit gekoppelt sieht. Sie legt den Fokus auf die Verknüpfung von patriarchaler Gewalt mit Rassismus und Nationalismus, wobei sie die Wichtigkeit des intersektionalen Blicks in der Analyse bestehender Machtverhältnisse unterstreicht, der materialistische und identitätspolitische Ansätze miteinander verbindet. In der sexuellen Freiheit – jenseits des männlichen Blicks – sieht die Autorin einen grundlegenden Schritt hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft. Für die lesbisch-feministische und an dekolonialen Ansätzen orientierte Leserin ist positiv herauszustreichen, dass die Autorin die Absage an jegliche Dominanzverhältnisse durch Prozesse des Verlernens mit Kämpfen um soziale Gerechtigkeit verbindet und Frauen dabei nicht entnennt (sie spricht von Frauen und Queers). Einblicke in die globalen, antipatriarchalen, feministischen Bewegungen und Kämpfe wie jene von Ni Una Menos gegen Femi(ni)zide sowie #MeToo- oder Frauenstreikbewegungen geben Leserinnen trotz des Backlashes Grund zur Hoffnung. Außerdem fällt auf, dass die Autorin ein Potential darin sieht, dass sich die Gräben zwischen Radikal- und Queerfeminist()innen schließen.
Nima Obaro
Carolin Wiedemann: Zart und frei. Vom Sturz des Patriarchats. 200 Seiten, Matthes & Seitz, Berlin 2021, EUR 20,00