Reise zum Ich
Eine junge Lehrerin pendelt täglich mit dem Zug in eine nahegelegene Stadt, um zu ihrer ersten Arbeitsstelle zu gelangen. Vieles ist in ihrem Leben im Umbruch, die neue Rolle als Lehrende, nicht sehr viel älter als ihre Schüler*innen, es passt noch nicht. Nicht so ganz passt auch die Affäre zu dem verheirateten Mann, den sie am ersten Arbeitstag im Zug trifft. Die Ich-Erzählerin startet unsicher in ihren neuen Lebensabschnitt. Der Arbeitsalltag ist überfordernd und schon irgendwie bedrückend gleichzeitig. Sie pendelt nicht nur zwischen ihrer Wohnung und der Schule, sondern auch zwischen Vergangenheit und Zukunft, Sich-Gehenlassen und Sich-Zusammenreißen, Gefühl und Vernunft. Die Suche der „Neuen Reisenden“ porträtiert die dänische Autorin Tine Høeg in ihrem preisgekrönten Debutroman von 2017, der nun auch auf Deutsch erhältlich ist. Als monologische Darstellung war das Werk auch schon auf der Bühne. Das erste Durchblättern macht etwas stutzig, die kurzen Kapitel in einem lyrischen Textsatz, jeder neue Satz eine neue Zeile, manchmal nur Schlagwörter, keine Interpunktion – geht sich da ein Roman aus? Es geht. Und wie. Trotz knappster Sprache, erzeugt Høeg ein extrem dichtes Leseerlebnis. Es wird genug gesagt, um in die Welt der Erzählerin hineingesogen zu werden und teilzuhaben an diesem jungen Erwachsenenleben der heutigen Zeit. Es bleibt große Vorfreude auf mehr von Tine Høeg.
Eva Steinheimer
Tine Høeg: Neue Reisende. Aus dem Dän. von Gerd Weinreich. 128 Seiten, Droschl, Graz/Wien 2020, EUR 19,00