Theorieproduktion aus dem globalen Süden

Vervollständigen ohne Anspruch auf Vollständigkeit – so könnte der Anspruch verkürzt dargestellt werden, den die drei Wiener Autorinnen an dieses Buch haben, in dem sie Einblick in marginalisierte, wenig rezipierte feministische Theoriebestände geben. Der Band ist aus der Perspektive von Unilehrenden für ebensolche sowie Studierende geschrieben und setzt Grundkenntnisse der Geschlechtertheorien voraus. Als Lehrbuch werden dennoch zentrale Begriffe wie „(westlicher) Feminismus“,„race“ u. a. erklärt, bevor in fünf großen Abschnitten jene Herangehensweisen an Geschlecht konturiert werden, die den im deutschsprachigen Raum hauptsächlich rezipierten inhaltlich widersprechen. Feministische Theorien aus Afrika und Lateinamerika sind dabei geografisch zugeordnet, während „Schwarzer Feminismus, Womanismus“, „Ökofeminismus“ und „Feministische Theorie und Islam“ inhaltliche Facetten abbilden. Das Buch ist eine Fundgrube für all jenes, was eine_r (doch) nicht kannte, es fordert das eigene Denken und seine Begrenztheit heraus – manche Ansätze sind auch schwer nachvollziehbar. Die Positioniertheit als weiße Lehrende wird von den Autorinnen benannt, die Darstellung ihrer eigenen Erlebnisse im Hörsaal ist berührend und nimmt die Leser_in gut mit. Besonders wertvoll sind die umfangreichen Literaturlisten und der beständige Hinweis, dass das Buch lediglich einen möglichen Einstieg bietet. Es vergegenwärtigt jedenfalls, in welch erschreckendem Ausmaß kolonial geprägt auch feministische Theorieproduktion, -rezeption, -lehre und -karrieren nach wie vor sind.
Meike Lauggas
Anke Graneß, Martina Kopf, Magdalena Kraus: Feministische Theorie aus Afrika, Asien und Lateinamerika. 323 Seiten, utb Gender Studies, facultas Verlag, Wien 2019 EUR 28,80