Unerwünscht und ausgegrenzt

Ein kurzer Augenblick in Großaufnahme aus dem kindlichen Erleben. Christine Nöstlinger erzählt von ihrer Erfahrung, als sie als achtjähriges Mädchen im August 1945 zur Erholung aufs Land geschickt wurde. Dort sollten die Wiener Stadtkinder zur Stärkung frische Luft und genug Essen erhalten. Für das kleine Mädchen, die Protagonistin des Buches, steht zuerst die unfreiwillige Trennung von der wohlmeinenden Mutter im Mittelpunkt; und dann die nicht netten anderen Kinder im übervollen Zug, bis das Malheur passiert. Sie verliert das Kärtchen, auf dem steht, wo sie aussteigen soll. Das Gefühl, blöd zu sein, kennen wohl die meisten Kinder irgendwann, und hier prägt es die folgende Handlung. An ihrer Stelle wird schließlich ein anderes, wohl nicht zufällig rothaariges Kind, die Konsequenzen tragen, kindliche Ausgrenzung und die Scham erleben, überhaupt hier zu sein. Es ist herzergreifend grausam, was diesem Bub geschieht, aber ihre Angst war verständlicherweise größer als die Courage, sich gegen 20 gemeine Kinder zu stellen. Es ist wie eine Entschuldigung, dass ihm Nöstlinger in späten Jahren dieses Buch widmet. Im Stil alter Fotografien vollständig in braun und ocker gehalten, benennt es sehr gut zeitlose kindliche Gefühle und lädt die Kleinen zur Auseinandersetzung damit ein.
Meike Lauggas
Christine Nöstlinger, Sophie Schmid: Der Überzählige. 36 Seiten, Nilpferd, Wien 2019
EUR 19,95