Verlobung auf Zeit

Obwohl sie sich oft viele Monate lang nicht persönlich treffen konnten, waren Felice Bauer und Franz Kafka etwa fünf Jahre lang verlobt. Dafür schrieben sie einander regelmäßig Briefe. Das heißt, Felice schrieb, wann immer sie neben ihrer anspruchsvollen Arbeit als Prokuristin in einer Berliner Firma, die ultramoderne Parlographen – Sprachaufzeichnungsgeräte mit einer Wachswalze – verkaufte, Zeit fand. Franz schrieb manisch, oft mehrmals täglich
ellenlange Briefe und beschwerte sich bitterlich, wenn die Antwort zu spät kam. Felice Bauer bewahrte diese Briefe auf und nahm sie bei ihrer erzwungenen Emigration in die USA mit. Kafka hat die erhaltenen Briefe vernichtet, doch dank seiner Angewohnheit, reichlich aus ihren Briefen zu zitieren, haben wir eine gute Vorstellung von deren Inhalt und Ton. Auf dieser Grundlage schrieb Unda Hörner einen Roman über die wechselhafte Beziehung. Fiktive Szenen, ausführliche Milieuschilderungen vor allem aus dem Berlin der Zeit von 1912 bis 1917 und über die Lebensumstände von jungen jüdisch-bürgerlichen Frauen vermengen sich mit Zitaten aus dem Briefwechsel. So entstehen vor dem inneren Auge ein Bild der Zeit sowie eine Ahnung von den seelischen Nöten Kafkas, die alle Klischees vom gequälten Künstler noch übertreffen. Bei der praktischen, arbeitsamen, lebensfrohen Felice stößt das oft auf Verwunderung, wenn nicht Unverständnis. Lange glaubt sie, Franz vielleicht doch ändern zu können, wenn sie erst verheiratet sind. Glücklich wurden beide nicht. Kafka starb jung an Tuberkulose. Bauer heiratet und verbringt ihre letzten Lebensjahrzehnte gezeichnet von Geldnöten und Krankheit. Lesenswert.
ESt
Unda Hörner: Kafka und Felice. 333 Seiten. ebersbach & simon, Berlin 2017 EUR 20,60