Von ersten, richtigen und anderen Müttern

Donatella di Pietrantonio, eine italienische Autorin aus den Abruzzen, zieht die Leserin mit ihrem neuen Roman unwiderstehlich in einen Wirbel aus widerstreitenden Emotionen hinein. In die Welt einer Dreizehnjährigen, die ohne Begründung aus einem scheinbar geborgenen Leben als Einzelkind mit liebevollen Eltern und Haus am Strand hineingestoßen wird in eine arme Familie mit vier Kindern, deren Eltern sich auch als ihre leiblichen Eltern entpuppen. Im Dorf wird sie nur „Arminuta“, die Zurückgekehrte, genannt, wobei sich die Gründe für diese Rückkehr erst nach und nach erschließen. Das Mädchen freundet sich mit der jüngeren Schwester an, wehrt sich ein bisschen gegen zwei der Brüder und entwickelt ungeahnte Gefühle für den ältesten Bruder. Alles, ob die Gewalt gegen die Kinder in der Familie, die gegenseitige sexuelle Anziehung zwischen den Geschwistern, die als Missbrauch gewertet werden könnte, der Verrat der ersten Mutter, des ersten Vaters, all das wird lakonisch erzählt, mit den Augen des Mädchens gesehen, das sich lange nach der ersten Mutter sehnt, und bleibt so stehen als die bestimmenden Wegmarken im Leben dieses Mädchens. Nichts wird verurteilt, und so taucht oft dort Liebe auf, wo weder das Mädchen noch die Leserin sie erwarten würde, und oft entpuppt sich „reine Mutterliebe“ als Verrat. Ein wortgewaltiger, verstörender, empfehlenswerter Roman!

Helga Widtmann

Donatella Di Pietrantonio: Arminuta. Aus dem Ital. von Maja Pflug. 220 Seiten, Antje Kunstmann, München 2018 EUR 20,60