Die Macht der Gefühle
Die Historikerin Ute Frevert hat zur Geschichte der Gefühle geforscht. Gefühle haben Geschichte, sie machen Geschichte, werden umgekehrt auch von ihr gemacht und unterliegen Konjunkturen wie Normierungen. Gefühlspolitik meint „die Bereitschaft und Fähigkeit, bestimmte Gefühle für bestimmte Zwecke zu mobilisieren und einzusetzen“ – von Regierungen und Regimen ebenso wie von der Zivilgesellschaft. Die Entgegensetzung von Vernunft und Gefühl lässt sich jedenfalls nicht aufrechterhalten (wie auch durch die Neurobiologie belegt).
Wie diese Gefühlspolitik in der Geschichte Deutschlands seit 1900 aussah, erkundet Frevert anhand von 20 Gefühlen, „Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung“, welche Gefühle für welche Ziele und Zwecke propagiert und mobilisiert und zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich dargestellt wurden. Z.B. Angst: in den 80er Jahren war die Angst vor einer Rüstungseskalation und einem dritten Weltkrieg weit verbreitet und zwang die Politik, sich damit zu befassen. Heute ist dieselbe Angst Motor für eine neuerliche massive Aufrüstungspolitik. Oder Scham: in den 80ern von Feministinnen für beendet erklärt (Die Scham ist vorbei), hat die Me-Too-Debatte aufgezeigt, dass die Scham (bzw. Beschämung) – durch die sexuelle Objektifizierung von Frauen – noch nicht überwunden ist. Diese Perspektive auf Vergangenes und Gegenwart soll laut Frevert neue Einsichten und Erkenntnisse vermitteln und ist in der Tat eine lohnenswerte Lektüre – informativ und kurzweilig zugleich.
Karin Reitter
Ute Frevert: Mächtige Gefühle. Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung – Deutsche Geschichte seit 1900. 496 Seiten, Fischer, Frankfurt/M. 2020 EUR 28,80