Erkundungen weiblicher Lust

Unter weiblicher Ejakulation wird heute weitgehend das Spritzen einer in der weiblichen Prostata bzw. den Paraurethraldrüsen gebildeten Flüssigkeit, die aber kein Urin ist, aus der Harnröhre verstanden, und zwar im Kontext des Orgasmus der Frau. Während das Verspritzen weiblicher Körperflüssigkeiten beim Sex und/oder beim Orgasmus in altchinesischen und altindischen Schriften als selbstverständliche, dem Wohl beider Geschlechter dienliche Praxis propagiert wurde, wird dieses Phänomen im christlichen Abendland in Verbindung mit der Zeugung im Rahmen der sog. 2-Samen-Theorie erörtert, bis die Herausbildung eines Konzepts einander diametral entgegengesetzter Geschlechter im 19. Jh. die spritzende Lust der Frauen wieder unsichtbar macht. Stephanie Haerdle rekonstruiert in bester genderkritischer Manier nicht nur die Überlagerungen und Wechselwirkungen von kulturellen Geschlechtervorstellungen, medizinischen und embryologischen Begriffsbildungen, anatomischen Beschreibung(svoraussetzung)en und Konzeptionen weiblicher Lust speziell seit der Neuzeit, sondern sie verdeutlicht diesen Zusammenhang in Bezug auf das ‚Spritzen’ auch in ihrer Darstellung des komplexen und widersprüchlichen, von Aneignungen und Brüchen geprägten Geflechts feministischer Konzepte (Klitoris statt/vor Vagina), Sex-aktivistischer Praxis (Squirting-Queens), feministischer Körpererkundungen und (esoterischer) Ratgeberliteratur seit den 70ern. Spannende wissenschafts- und ideologiekritische feministische Aufklärung!

SaZ

Stephanie Haerdle: Spritzen. Geschichte der weiblichen Ejakulation. 287 Seiten, Edition Nautilus, Hamburg 2020 EUR 20,50