Freischreiben als Therapie

In Andeutungen wird rekonstruiert, dass die Ich-Erzählerin jahrelang von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Der Missbrauch lässt sich zunächst von ihr als traumatisiertem Opfer nicht erinnern. Sie wird von der Mutter pathologisiert, muss Antiepileptika schlucken, um überlebensfähig zu bleiben. Die gewalttätige Mutter und der übergriffige Vater treiben sie in die Arme der katholischen Fokularsekte. Auch dieser Hafen ist für sie tückisch, weil sie auch hier Manipulationen ausgesetzt ist. Sie flüchtet ein zweites Mal! Es braucht Zeit, um die entstandenen Verletzungen psychisch zu verarbeiten und sich von den vormaligen Schuldzuweisungen der Täter:innen zu befreien. Einige Aufbrüche zwischen norddeutscher Provinz, Berlin und Italien sind erforderlich, um sich empowern zu können. Das Opfer benötigt dazu die richtige Sprache und den Schutz dicker Wände. Der Roman ist zweisprachig in Italienisch und in Deutsch verfasst. Am Ende liest er sich wie ein Aufbegehren, nach Jahren der Angst löst sich die Ich-Erzählerin von ihrem Trauma, indem sie für das Unaussprechliche eine Sprache findet. Elke Mählmann legt mit ihrem Debütroman patchworkartig menschliche Abgründe offen. Dass sie dabei von einem gewissen Sprachwitz begleitet wird, erleichtert die Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema.
ML
Elke Mählmann: Da will ich nicht hin. 128 Seiten, edition assemblage. Münster 2022 EUR 15,50