Ich gehe meinen Weg für mich

Eva Geber hat sich auf die Suche nach dem Nachlass von Dora Kallmus begeben. Das fotografische Werk der großen Madame D’Ora hat mittlerweile seinen Weg an die internationale Öffentlichkeit gefunden, wovon auch eine große Werkschau im Leopoldmuseum 2018 zeugte. Es ist der anschauliche schriftliche Nachlass, der quer über Europa verstreut, gesammelt und dann in akribischer Arbeit zu einem Werk vereint wurde. Er ist und bleibt ein Fragment, da einige der Briefe, Manuskripte und Tagebücher verschollen blieben. Nichtsdestotrotz bergen die Tagebücher aus dem Exil einen gewaltigen intellektuellen Schatz, und das nicht nur, weil sie einen (zum Teil schmerzhaft) authentischen Einblick in das jüdische Leben im französischen Exil bieten. Vielmehr offenbaren sie die Gedankenwelt einer sensiblen, mutigen und außergewöhnlichen Frau und Künstlerin, die ihren Weg als Vertriebene im Europa des 2. Weltkrieges suchte – und fand. Die ersten beiden Kapitel zeugen von einem intensiven, äußerst liebevollen und gewitzten Briefwechsel zwischen Anna und Dora Kallmus. Die beiden Schwestern pflegen sich nahezu täglich zu schreiben, bis Anna Kallmus 1941 in das Ghetto Łódź deportiert wird. Die weiteren Kapitel berichten von Doras Leben im Exil in Südfrankreich, wo sie stets der Gefahr der Denunziation ausgesetzt, ihr Leben, die Welt, die Liebe und allem voran die Fotografie reflektiert. Mit der Rückkehr nach Paris beginnt eine Phase der intensiven Arbeit, in der sie die Eindrücke des Krieges sichtbar zu machen und die Massenvernichtung abzubilden versucht. Sie bleibt weiterhin sehr gefragt als Porträtistin (sie fotografierte u.a. Picasso, Josephine Baker oder Somerset Maugham), würde dies aber hintanstellen, „wäre die leidige Geldfrage nicht“. Mit ihrer berühmten Pariser Schlachthofserie schafft sie es schließlich, weniger subtil über den Krieg zu sprechen.
Margit
Madame D’Ora. Tagebücher aus dem Exil. Hg. von Eva Geber. 254 Seiten, Mandelbaum, Wien 2022 EUR 24,00