Mein Kopf, meine Welt

Bereits im Kindesalter ist eines klar: Kathlen hat ihren eigenen Willen. Sie macht ihre Fantasievorstellungen für sich und ihre Freund:innen wahr, mal befinden sie sich auf einem Pirat:innenschiff, mal im Krieg oder sie verwenden ihre T-Shirts im Wald als Seile: alles wird dreckig, Hosen zerreißen. Auch Verletzungen halten sie nicht von ihren Abenteuern ab. Kathlen lebt sich aus, ist Kind, stereotype Geschlechterrollen sind unwichtig. Sie verknallt sich nicht, wie alle erwarten, in Dominik, sondern scheint sich (auch) zu Mädchen hingezogen zu fühlen. Doch schleichen sich immer wieder gesellschaftliche Konventionen und Ansprüche in ihr Leben, engen sie immer mehr ein. Um sich gedanklich von den Brüchen in ihrer Familie abzuschirmen, baut sie sich in der Fantasie ihre Prinzessinen-, ihre ‚Dotterwelt’. Die Autorin macht deutlich, bei wem in der Familie die Verantwortung liegt: Kathlens Vater zieht sich sukzessive aus ihrem, dem Leben ihrer Mutter und ihres Bruders zurück, bis er ganz verschwindet. Die patriarchal beworbene Kernfamilie zerbricht und Kathlen leidet in ihrer Pupertät immer wieder unter dem völligen Fehlen ihres Vaters und der emotionalen Distanz zu ihrer Mutter. So wandeln sich die Kinderspiele im Teenageralter zu übermäßigem Drogen-, Alkoholkonsum und Make-Up Gebrauch – immer auf der rastlosen Suche nach sich selbst. Statt sich Hausübungen zu widmen, wird Wiens Nachtleben ausgekostet. Sie erlebt ihre ersten sexuellen Erfahrungen, polyamoröse Beziehungen, fühlt zum ersten Mal Eifersucht und Herzschmerz. Marth schafft es, die Lesenden in ihre Kindheit zurückzuversetzen, sich an Abenteuer mit damaligen Verbündeten zu erinnern, in denen die Zeit unendlich scheint, und zu reflektieren, ob bzw. wann gesellschaftliche Erwartungen an das Verhalten als Frau* stärker geworden sind als die eigenen.
Lilia Holder
Karoline Therese Marth: Dotterland. 117 Seiten, Droschl, Wien 2023 EUR 21,00