Nordisch kühl

Ein schmucker Doppelband vereint zwei aktuelle Romane der dänischen Autorin Helle Helle. Ihre einzigartig stringente Art zu schreiben ist faszinierend: Obwohl sie konsequent nur erzählt, was sich ereignet, nicht aber die Gefühle der Personen, sind ihre Romane berührend. SIE ist das liebevolle Porträt einer Mutter und ihrer 16-jährigen Tochter. Die Mutter leidet an einer tödlichen Krankheit, die das Leben der beiden überschattet. Helle Helle schildert aber ausführlicher die alltäglichen Erlebnisse der Teenagerin, die kleinen Hürden des Alltags und wählt dafür ein stures Präsens, eine absolute Gegenwärtigkeit, in der die Trauer über den bevorstehenden Verlust immer mitzuschwingen scheint. – Ebenso minimalistisch und konsequent erzählt ist der zweite Roman, BOB. Ich-Erzählerin ist die nun zur Studentin herangewachsene Erzählerin aus SIE, Bob ist ihr Freund, mit dem sie eine Einzimmerwohnung teilt. Der junge Mann weiß nicht, was er aus seinem Leben machen soll, welches Studium ergreifen, welchen Job anstreben. Scheinbar beiläufig entfaltet Helle Helle diese Beobachtung des Scheiterns an der Idee der Freiheit, blickt die Erzählerin doch seltsam distanziert auf das dahinsickernde Leben ihres Partners. Als ‚coole’ Autorin wird Helle Helle beschrieben – und das trifft es, und auch wieder nicht. Denn gerade die stilistische Härte und Distanz macht Brüche und Räume auf für Mitgefühl und Zärtlichkeit. Spannende Lektüre!

Judith Staudinger

Helle Helle: SIE und BOB. Aus dem Dän. von Flora Fink. 352 Seiten, Dörlemann, Zürich 2022 EUR 28,80