Der Preis von Begehren und Schuld

Selten so rasant fast 700 Seiten verschlungen! Der neue Roman von Sarah Waters ist nun auf Deutsch erschienen und schließt wunderbar an ihre bisherigen wie „Tipping the Velvet/Die Muschelöffnerin“ oder „Affinity/Selinas Geister“ an. London 1923 ist diesmal der Schauplatz, der Erste Weltkrieg ist geschlagen, die 26-jährige Frances Wray hat Vater und beide Brüder verloren und lebt

verarmt mit ihrer verbitterten Mutter im Haus der Familie, das sie kaum mehr erhalten können. Aus diesem Grund sehen sie sich gezwungen, einen Teil des Hauses an das junge Ehepaar Lilian und Leonard Barber zu vermieten. Damit ziehen nicht nur zwei Personen ein, sondern es wird geräuschvoll im Haus, in dem nun Löffel klappern, Musik erschallt und knarrende Böden von Leben zeugen. Lebendiger wird auch vieles in Frances, der Mutter schwant angesichts „verquerer Schwärmereien“ in deren Vergangenheit Übles und Beziehungsformen erfordern neue Positionierungen. In drei großen Teilen wird mit unterschwelliger Dauerspannung verhandelt, welche Tribute ein Doppelleben erfordert, wie gesellschaftliche Normen individuelle Entscheidungen von Frauen bestimmten, wie sich mit Trauer und Schuld leben lässt, welche Verantwortung wie getragen werden kann. Und dabei immer wieder stürmischer Sex, wildes Begehren, Liebeserklärungen, Zukunftspläne und Katastrophen, die die Leser_in bis zur letzten Seite um eine erhoffte Zukunft bangen lassen. meikel

Sarah Waters: Fremde Gäste. Aus dem Engl. von Ute Leibmann. 687 Seiten, Bastei Lübbe, Köln 2016 EUR 22,70