Revolutionäre Gesänge?

Die Oper als hochpolitisches Genre, das Heteronormativität aufhebt und traditio-nelle Geschlechterrollen in Frage stellt, sie sogar verschwinden lässt? Ja, sagt Barbara Vinken und vertritt die Sichtweise, dass die Oper nicht als elitär, unkritisch und rückständig wahrgenommen werden darf. Sie meint, dass Oper längst nicht mehr nur ein bildungsbürgerliches Amüsement darstellt. In ihrem Buch untersucht sie bekannte Opernklassiker wie bspw. Carmen, La Traviata, Rigoletto, Die Zauberflöte, Madame Butterfly und Tosca, um ihre Thesen zu bekräftigen. So räumt sie zwar beispielsweise ein, dass Die Zauberflöte rassistische, heteronormative und misogyne Motive/Stereotype enthält, aber meint, dass diese durchaus enttarnt, als nur reproduziert werden – ob diese Behauptung einer rassismuskritischen Betrachtung/Herangehensweise standhält ist fraglich. Vinken nennt Beispiele von ‚Gender-fluidity’, bspw. Cherubino, und führt aus, dass ‚selbstverherrlichende Männlichkeit’ auf der Opernbühne ins Lächerliche gezogen wird, somit, meint sie, wird am Patriarchat gewackelt. Opfer in der Oper sind meist Frauen – da sich diese meist selbst opfern, sieht sie dies als Schritt grenzenloser Nächstenliebe und Überlegenheit; die Männer überleben zwar meist, dennoch ist deren Ruf zerstört. Vinken stellt spannende Thesen und interessante Behauptungen auf, ob alle einem genaueren bzw. kritischen Blick überdauern, bleibt dahingestellt – das Buch setzt nämlich ein gewisses Vorwissen bzw. weitere Recherche voraus, womit es für ‚Opernneulinge’ nicht ganz niederschwellig gestaltet ist.
Andrea Knabl
Barbara Vinken: Diva. Eine etwas andere Opernverführerin. 432 Seiten, Klett-Cotta, Stuttgart 2023 EUR 31,50