Sätze zählen

Im Kurzgeschichtenband blasse tage von Zarah Weiss überwiegen die familiären Szenen, auch solche in Wahlverwandtschaften. Zu Beginn, in „Weißer Rauch“, flüchtet die Schwester der Ich-Erzählerin über Nacht, lässt Hof, Tiere und Familie zurück. In der titelgebenden Erzählung „Blasse Tage“ dient die Natur als Inspiration für einen studentischen Arbeitsauftrag zu einem Drehbuch. Dass der Entwurf der Ich-Erzählerin Sonia nur „dahingeschmiert“ sein soll und trotzdem in die engere Auswahl des Dozenten kommt, mutet wie falsche Bescheidenheit an. In den vorliegenden Miniaturen werden soziale Situationen pragmatisch ausverhandelt, aber allzu bemüht poetisch abgehandelt. Etwa als ein Zug überraschend schnell fährt, einen Haltebahnhof ignoriert und so „eine neue Epoche von Raum und Zeit“ anzubrechen scheint. Gelungen wiederum ist das heimliche Zählen der wenigen Sätze, die der Vater im Verlauf eines Tages in „Gold’ne Kette, gold’ner Schuh“ spricht.
DM
Zarah Weiss: blasse tage. 131 Seiten, Edition Exil, Wien 2022 EUR 14,00