Wiederaufnahmeverfahren

Rebecca Makkai wählt in ihrem neuen Roman einen untypischen Erzählmodus. Bodie Kane, die Hauptakteurin, äußert ihre Gedanken, als wenn sie diese gegenüber einer zunächst unbekannten Person formulieren würde. 1995 wird die Schülerin Thalia Keith im Schwimmbad eines Eliteinternats in New Hampshire ermordet aufgefunden. Dem Schwarzen Sportlehrer Omar Evans wird nach kurzen, schlampigen Polizeiermittlungen der Prozess gemacht. Er wird vor Gericht schuldig gesprochen und inhaftiert. 20 Jahre später kommt Bodie Kane als Medienwissenschaftlerin und ehemalige Mitschülerin von Thalia an den Ort zurück, um ein Seminar abzuhalten. Brit, eine Studentin von Bodie, möchte als Seminararbeit einen Podcast über den damaligen Vorfall machen, da sie bezweifelt, dass Omar der Mörder ist. Viele Fragen blieben seinerzeit unaufgeklärt. Bodie ist einverstanden und versucht sich daran zu erinnern, was damals passiert ist. Sie reflektiert ihre persönlichen, widersprüchlichen und schmerzhaften Wahrnehmungen als Teenager ebenso wie ihre fehlerhafte Sicht anderen Mitschüler:innen und Unterrichtenden gegenüber. Alle wollten Teil des Geschehens sein. Dank des Podcasts wird der Fall gerichtlich neu aufgerollt. Parallel dazu ist Bodie gefordert, weil sie sich aus Solidarität zu ihrem Ex-Ehemann, der ein renommierter Künstler ist und in eine Metoo-Debatte verwickelt wird, einmischt und selbst Betroffene eines Shitstorms wird. Ein Pageturner, spannend bis zur letzten Seite, der über drei Dinge aufklärt: Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen stark auseinander. Wir konstruieren Wirklichkeit nie exakt. Kritik gegenüber der digitalen Blase in den sozialen Medien ist notwendig.
ML
Rebecca Makkai: Ich hätte da ein paar Fragen an Sie. Aus dem amerik. Engl. von Bettina Abarbanell. 558 Seiten, Eisele, München 2023 EUR 28,80