Zwangserziehung

Frida hat einen Aussetzer, einen folgenschweren. Sie lebt mit ihrer 18-monatigen Tochter Harriet in ständiger Überforderung. Harriets Vater hat sie kurz nach der Geburt verlassen. Frida war ihm zuvor nach Philadelphia gefolgt, weit weg von ihrer Familie, Freund*innen fehlen ihr. Sie hat einen Job, in dem sie herablassend behandelt wird, aber sie ist auf das Homeoffice-Arrangement angewiesen. Sie schläft kaum und nach einer durchwachten Nacht mit fieberndem Kind und Deadlines im Nacken, lässt sie das Kind allein zu Hause. Sie kann es sich selbst nicht erklären, warum. Ein Nachbar ruft die Polizei, weil das Kind schreit. Und damit hat Frida nichts mehr in der Hand. Die Abwärtsspirale dreht sich immer schneller. Und alle Fragen zu ihrem Verhalten, die sich auch die Leser*in stellen mag, rücken schnell in den Hintergrund, wird doch die Situation mit einer willkürlich handelnden Sozialarbeiterin für Frida schnell bedrohlich. Es gibt da ein paar neue Gesetze. Fridas Wohnung wird von Beamten durchsucht und sie wird fortan videoüberwacht, jede Handlung dokumentiert, um dem Gericht Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Frida genügt vor Gericht nicht. Ihre letzte Chance, das Sorgerecht vielleicht zurückzubekommen, ist ein Jahr in einer Erziehungsanstalt für Mütter, und damit geht der Schrecken erst richtig los. In den USA schaffte es Jessamine Chan mit ihrem Debütroman auf die New York Times Bestsellerliste. Eine düstere Dystopie über unerreichbare und gleichzeitig absurde Ideale von Mutterschaft und ihre behördliche Sanktionierung. Nur für starke Nerven.
Eva Steinheimer
Jessamine Chan: Institut für gute Mütter. Aus dem amerik. Engl. von Friederike Hofert. 432 Seiten, Ullstein, Berlin 2022 EUR 23,70