Zwischen Anarchismus und Kommunismus

Lucy Parsons ist eine der einflussreichsten Ikonen des nordamerikanischen Anarchismus des 19. Jahrhunderts. Bereits in frühen Jahren entwickelt Parsons als Schwarze für sich eine Wunschherkunft als Kind mexikanischer Einwanderer, um von der Öffentlichkeit nicht als Exsklavin gesehen zu werden. Einen Bekanntheitsgrad erfährt sie tragischerweise, nachdem ihr Mann Albert Parsons gerichtlich nach dem Bombenanschlag am Haymarket in Chicago 1886 mit drei anderen Männern hingerichtet wird. Nach seinem Tod verbreitet sie seine Schriften und verfasst eine Biografie zu seinem Leben. Sie tritt als exzellente Rednerin bei Demonstrationen und gewerkschaftlichen Veranstaltungen auf, um sich für die Rechte der Arbeitenden einzusetzen. Kürzere Arbeitszeiten, eine bessere Entlohnung oder aber die Würde des Menschen sind Themen, mit denen sie sich bei zahlreichen Streiks Gehör verschafft. Eine Zukunft im Kapitalismus und für den Staat sieht sie nicht. In feministischen Fragen ist sie widersprüchlich, sie lebt die freie Liebe, in ihren Reden tritt sie für Monogamie ein. Ihre politische Zugehörigkeit ist in späteren Jahren die Bewegung der IWW (Industrial Workers of the World), auch als Rednerin bei kommunistischen Konferenzen lässt sie sich einsetzen. Die Sozialhistorikerin Jacqueline Jones versucht die widersprüchliche Verortung der Anarchistin herauszuarbeiten, allerdings auf einer bescheidenen Argumentationslinie. Parsons zahlreichen Auftritten wird viel Bedeutung beigemessen. Oft werden diese durch brutale Polizeieinsätze gestört. Im Hinblick auf ideologische Kontroversen jedoch wird die Leserin lediglich mit oberflächlichen Einschätzungen versorgt. Schade!
Antonia Laudon
Jacqueline Jones: Göttin der Anarchie – Leben und Zeit von Lucy Parsons. Aus dem amerik. Engl. von Felix Kurz. 426 Seiten, Edition Nautilus, Hamburg 2023 EUR 35,00