Durch Holzaugen betrachtet

In mehreren Reihen, wie still abwartende Zuschauer_innen, sitzen Holzpuppen mit beweglichen Gliedern. Die kleinste nur einen Daumen breit, die größte überlebensgroß. Die älteste aus dem beginnenden 16. Jahrhundert, die jüngste aus 1930. Sie richten ihre hölzernen Blicke auf eine Figur in der Mitte des Raums. Manche von ihnen sitzen oder liegen in Vitrinen. Eine Holzpuppe mit abnehmbarer Bauchdecke ist da, anatomisches Modell aus 1770. Ein Püppchen von der Größe eines halben Zündholzes ist in eine rote Holzdose gebettet. Eine andere Puppe sitzt auf einem hölzernen Pferd. Sie sind keine antiquarischen Ausstellungsstücke; nichts, was man anstarren soll. Sie selbst, die einmal Modelle zum Lernen, zum Malen, zum Studieren waren, betrachten die Betrachter_innen. Differenz und Vielfalt sind die Themen, die Ydessa Hendeles sich zum Motto dieses raumnehmenden Werks aus 150 Gelenkpuppen gemacht hat. Hendeles, Kuratorin, Installationskünstlerin, hat ihre Manikins im Londoner Institute of Contemporary Arts versammelt – ein raumfüllendes „Tableau Vivant“ von kleinen und großen Gruppen, die mit ihren starren Blicken, ihrem unbeweglichen Festsitzen etwas Ausschließendes haben; etwas, das die Betrachterin dazu zwingt, ihre Schritte genau zu bemessen. Hendeles kam im Alter von zwei Jahren mit ihren Eltern von Deutschland nach Kanada. Ihre Familiengeschichte wäre ein eigenes Buch wert, aber hier soll sie nichts zur Sache tun: sonst gibt es dieses »Aha«, sagt die Künstlerin gern in Interviews, »Ah deswegen macht die das!«; und solcher Art Kurzschlüsse will sie vermeiden. Lisa Bolyos

Ydessa Hendeles: From her wooden sleep… Katalog zur Installation. 488 Seiten, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2016 EUR 75,00