Weiterleben durch Erinnern

Wirtschaftswissenschaftlerin Sonali Deraniyagala hat mit dem Tsunami in Sri Lanka im Dezember 2004 beide Elternteile, ihren Ehemann und ihre zwei kleinen Söhne im Alter von sechs und acht Jahren verloren. Selbst wurde sie kilometerweit von der zehn Meter hohen Welle herumgespült und überlebte zufällig. In ihrem 2013 zum Geburtstag ihres älteren Sohnes Vikram erstmals auf Englisch erschienenen Buch erzählt sie von den Minuten vor der Katastrophe und den anschließenden schweren acht Jahren. In frappierend direkten und klaren Sätzen schildert sie die schiere Unbewältigbarkeit der Erkenntnis über den umfassenden Verlust, der dem Ende ihres bisherigen Lebens gleichkommt. Mit dem spannend verfassten Text lässt sie nachvollziehen, wie sie Depressionen, Betäubung, Wut, Ängste und das Gefühl der Auswegslosigkeit durchlief. Es vergehen Jahre, bis sie an die Unglücksstelle zurückkommen kann und dort just das T-Shirt ihres Sohnes im Sand ausgräbt, bis sie das gemeinsame Haus in London wieder betreten, die weiterwachsenden Freund_innen ihrer Kinder sehen kann – und die geteilte Vergangenheit mit ihren Söhnen in ihnen.
Deraniyagala lässt ihre größte Hürde nachvollziehen, die Erinnerung an ihre toten Liebsten, vor der sie sich aus Furcht vor dem großen Schmerz zu schützen versucht. Behutsam, in kleinen Schritten und zunehmend poetisch nähert sie sich ihr an: „Dadurch, dass ich sie alle erneut kennenlerne, die Fäden unseres Lebens in Erinnerungen wieder aufsammle, fühle ich mich weniger zerbrochen.“ Ein bemerkenswertes, sehr berührendes Buch, reich an ganz grundsätzlichen Gedanken über das Leben. mel
Sonali Deraniyagala: Nach der Welle. Aus dem Englischen von Peter Dahm Robertson. 270 Seiten, Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M. 2014 EUR 15,50