Editorial

Liebe Leser*innen!

Manchmal wird Lesen als Weltflucht bezeichnet, dabei ist es wesentlich ein Akt der Auseinandersetzung mit der Welt. In einem tiefgreifenden Dialog zwischen Leser*in und Text werden Ideen, Gefühle und Erfahrungen ausgetauscht und aufgenommen. In einer Zeit, die von einer unaufhörlichen Flut von Informationen geprägt ist, bietet das Lesen aber auch einen Zufluchtsort, an dem wir innehalten, nachdenken und uns mit unserem eigenen Inneren verbinden können. So kann eine Atempause entstehen inmitten des aktuellen militanten Geschehens im so genannten „Nahen Ostens“, der Ukraine und sämtlichen anderen, unterrepräsentierten Konflikten. Leider halten nationale und internationale Gewaltakte gegenüber Frauen, Minderheiten oder einfach unangepassten Subjekten an. Lektüre bietet die Gelegenheit, noch tiefer einzutauchen in Erfahrungen, die uns nah oder vielleicht vom eigenen täglichen Leben weit entfernt sind. Beispiele für beide Möglichkeiten finden sich in der Auswahl der aktuellen Ausgabe des Weiberdiwan:

Einblicke in das Leben einer jungen Frau und ihre Obsession als Fan eines Popsängers gibt Rin Usami in ihrem ersten Roman „Idol in Flammen“. Eine genaue Analyse des heteronormativen Gesellschaftssystems, und wie katastrophal dessen Vorstellungen Liebesbeziehungen beeinflussen, liefert Mona Chollet in ihrem Buch „Wir müssen die Liebe neu erfinden“.

Atemberaubend ist der Roman über das verherrende, repressive Leben von Jugendlichen in französischen Banlieues von Diaty Diallo „Zwei Sekunden brennende Luft“. Unter die Haut geht der erste Teil einer von Terézia Mora geplanten feministischen Trilogie, der sich mit patriarchaler Gewalt in einer heteronormativen Beziehung beschäftigt. Der Titel ist „Muna oder Die Hälfte des Lebens“. Marlen Pelnys Roman „Warum wir noch hier sind“ beschreibt glaubwürdig und präzise den emotionalen Ausnahmezustand für die An- und Zugehörigen einer ermordeten jungen Frau. 

Endlich ist der zweite Roman von Maya Haderlap „Nachtfrauen“ erschienen, in dem anhand dreier Generationen von Frauen in Kärnten differenziert dargestellt wird, wie vielschichtig die Unterdrückung der Frauen ist.  Julie Otsuka Roman „Solange wir schwimmen“ umschreibt in leisen Tönen und Metaphern, wie Demenz als Krankheit die Wahrnehmung der Welt einer Betroffenen verändert.

Wer vielleicht keine Lust auf durchgestylte weiße Yogalehrerinnen in teuren Outfits hat, sich aber gerne mit Yoga entspannen möchte, findet in „Every Body Yoga“ Inspiration und außerdem die aufregende Lebensgeschichte von einer, die sich nicht entmutigen lässt und sich nicht scheut, die Dinge beim Namen zu nennen: Jessamyn Stanley.

Wir wünschen euch viel Spannung, Entspannung und Zeit für ruhige Lesestunden!

 

 

WeiberDiwan-Redaktion