Liebe Leser*innen!
Der Bücherherbst bringt vielseitige neue, feministische und frauenfokussierte Publikationen mit sich. Das Themenspektrum ist breit, viel Politisches, aber auch viel Geschichtliches haben wir für euch gelesen und ausgewählt. Zum Beispiel längst überfällige Porträts wichtiger Frauen: etwa über die österreichische Ökonomin Helene Bauer oder die ungarisch-indische Malerin Amrita Sher-Gil. Aufmunternd ist auch die Autobiografie der ungarischen Biochemikerin Katalin Karikó, der Nobel- preisträgerin für Medizin und Erforscherin der mRNA. Solche Publikationen ergänzen die immer noch meist männlich geprägten Narrative in Wissenschaft und Kunst.
Prekariat, Sexarbeit und Migration bleiben diskursprägend, ebenso die klare Positionierung im Umgang mit rassistischen sowie sexistischen Strukturen und Geschehnissen. Der Sammelband Bite Back! Queere Prekarität, Klasse und unteilbare Solidarität von den Herausgeber:innen Lia Becker, Atlanta Ina Beyer und Katharina Pühl verbindet linke Analysen mit sogenannten Identitätspolitiken und schafft somit ein gelungenes Beispiel für intersektionale Theoriearbeit. Interessant ist auch das Buch Working Class Daughters – Über Klasse sprechen, weil es anhand von Gesprächen mit jungen Frauen vermittelt, wie prägend Klassenerfahrungen sind.
Im Bereich Belletristik gibt es viel Spannendes, Aufregendes, Erfreuliches aber auch Erzürnendes. Dass der politische Roman bei dem allgemeinen Rechtsruck sich wieder positioniert, zeigt der unter die Haut gehende Roman der französischen Autorin Marion Messina Die Entblößten, der in Stakkato-Manier beispielhaft die Lebensrealität einiger Rationalisierungsverlierer*innen beschreibt. Nora Bossong verdeutlicht mit ihrem neuen Roman Reichskanzlerplatz, dass Opportunismus eine gefährliche Begleiterscheinung in reaktionären Systemen ist. Und alle so still von Mareike Fallwickl entwirft ein mutmachendes wie dystopisches Zukunftsszenario eines umfassenden Frauen*streiks.
Mutterschaft beziehungsweise deren Ausbleiben ist der Ausgangspunkt von Brenda Navarros Leere Häuser. Das Buch stellt bürgerliche Familien- und Lebenskonzepte zweier Frauen in Mexiko und einer vom Machismo geprägten Gesellschaft in Frage. Die bereits erwähnte Malerin Amrita Sher-Gil hingegen begann bereits mit 16 Jahren, in Paris Malerei zu studieren und beeindruckt mit ihrem Charisma und ihrer emanzipierten Sexualität die Pariser Bohème, um 1934 – mit 21 Jahren – alleine nach Indien zu reisen. Dort fand sie zu ihrer künstlerischen Mission: Sie malte die Alltagsrealität der armen Bevölkerung und stellte auch das Leid der Frauen dar.
Und weil Weihnachten bevorsteht und bekanntlich das Fest der Liebe ist, sei noch der unglaublich feinfühlig beobachtete Roman Bei aller Liebe von Jane Campbell empfohlen: mit psychoanalytisch geschulter Genauigkeit, doch stets liebevoll, beschreibt sie die inneren Verstrickungen in unterschiedlichen Beziehungskonstellationen. Zum Schluss sei euch noch das Buch Das Wesen des Lebens von Iida Turpeinen ans Herz gelegt, ein Überraschungserfolg mit philosophischer Tiefe, der die Zusammenhänge von Forschung, (fehlendem) Einfühlungsvermögen und der Liebe zu allen Lebewesen thematisiert.
Lasst es euch gut gehen, achtet auf euch und aufeinander und feiert ein schönes, strahlendes Fest der Liebe, auch – und gerade weil – die Welt so in Aufruhr ist.