Endlich wieder wach

„Dem Schlaf gehört alles: mein Tag und meine Nacht.“ Mit diesen Worten beginnt Tamar Noorts neuer Roman und beschreibt damit sehr treffend, wie präsent der Schlaf ist, gerade wenn er nicht da ist. Janis arbeitet als Nachtwache in einem Schlaflabor und trifft dort auf Sina, eine Lehrerin und Mutter, der der fehlende Schlaf zunehmend das Leben entreißt. Die Begegnung dieser beiden Frauen, die auf unterschiedliche Weise mit der Nacht kämpfen, lässt die Schlaflosigkeit für die Leser*innen unglaublich spürbar werden und verleiht dem Schlaf eine politische Bedeutung: Wer kann in unserer Gesellschaft ruhig schlafen? Wer arbeitet, wenn alle schlafen? Und warum wird die Schlaflosigkeit dieser Frauen nicht ernst genommen? Als die beiden merken, wie gut es ihnen gehen könnte, lässt sie diese Sehnsucht nicht mehr los. Es ist eine Geschichte über die Bedeutung von Schlaf, aber auch über die Schönheit des Ausbrechens aus Strukturen und die Befreiung von dem Mann, der fast provokant jede Nacht in aller Ruhe neben einem schläft. Seit langem hat mich kein Roman mehr so überraschend berührt. Mein Schlaf gehört wieder mir.
Agnes Sieben
Tamar Noort: Der Schlaf der Anderen. 315 Seiten, Rowohlt Kindler Verlag, Hamburg 2025 EUR 24,70