Frauen im Literaturbetrieb

Der WeiberDiwan traf im Oktober Angelika Reitzer, eine Verantwortliche des Kunstvereins „A l t e S c h m i e d e“ in Wien, in dem immer wieder Lesungen abgehalten werden. Margret befragte sie zu den Produktionsbedingungen in der Literatur.

WeiberDiwan: Du bist Autorin und arbeitest gleichzeitig als Literaturwissenschaftlerin, Organisatorin und Moderatorin in der Alten Schmiede. Wie lassen sich diese Berufe miteinander verbinden?
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Angelika Reitzer: Von meiner Profes­sion her bin ich Autorin und empfnde mich trotz meines Studiums nicht als Literaturwissenschaftlerin. Ich literari­siere gern das Wissenschaftliche und in der Alten Schmiede suche ich den Zugang als Autorin und Kollegin.

Du hast nun mit dem Literaturwissenschaftler Wolfgang Straub die Ausstellung „Bleistift, Heft und Laptop“ kuratiert, die im Literaturmuseum bis im Februar 2017 läuft, in der Schreibprozesse von fünf weiblichen und fünf männlichen AutorInnen vorgestellt werden. Gibt es einen Unterschied in der Textproduktion bei Frauen und Männern?

Wir haben einen paritätischen Zugang gewählt, das Ge­schlechterverhältnis sollte ausgeglichen sein. Es gibt so viele gute AutorInnen in Österreich, der Pool ist wirklich groß. Der Zugang beim Schreiben ist ein sehr in­dividueller. Es hat nur indirekt damit zu tun, ob die schreibende Person ein Mann oder eine Frau ist. Es eint alle, dass sie einen sprachkritischen Zugang haben. Wir wollten keine Geschichten hören, sondern tatsächlich erfahren, wie man schreibt, wie Literatur bei ihnen ent­ steht. Schließlich kann man die noch so banalste Geschichte erzählen und dabei einen riesigen Erkenntnisgewinn erzeu­ gen. Was ich sehr spannend fand, als die Ausstellung dann fertig war, dass es nur ein einziges Abbild einer Autorin gab. Es wird immer so viel in der Literatur­branche darüber geredet, dass man sich gut vermarktet, dass man sein Gesicht zeigt. Von diesen AutorInnen hat das niemand gemacht. Von Teresa Präauer gibt es eine Fotografie von einer Blei­stiftzeichnung als Portrait, aber das ist ironisch gemeint und Teil ihres Werks. Sie wollten eine Spur legen, wie ihre Texte entstehen. Eine Kategorisierung, männlich/weiblich ist da nicht möglich. Jede macht ihrs, jeder macht seins.

Gibt es denn Themen, von denen du denkst, dass Frauen sie besser auf den Punkt bringen als Männer, oder auch umgekehrt?

Ich habe jetzt am Wochenende von Thomas Melle „Die Welt im Rücken“ gelesen. Der Roman ist auf der Shortlist des Deutschen Bu­chpreises, es ist eine autobiografische Erzählung über seine bipolare Störung.

Der Inhalt erinnert mich ein bisschen an Brigitte Schwaiger.

Ach ja, Thomas Melle erwähnt im Laufe des Buches den norwegischen Au­tor Karl Ove Knausgård und sagt, dem glaubt er kein einziges Wort, das finde ich interessant. In den letzten Jahren gibt es diese große männliche autobio­grafische Erzählung, die ich von Frauen so nicht kenne. Vielleicht hat das immer noch damit zu tun, dass die weibliche Au­torin denkt, das ist uninteressant, so aus­ufern kann man nicht, das ist für andere nicht zumutbar. Männer aber nehmen sich das heraus. Knausgård denkt dutzen­de Seiten darüber nach, wie unattraktiv er jetzt als Mann ist, wenn er mit seiner kleinen Tochter zum Kinderturnen geht und dass er jetzt mit Kind extrem unsexy für die Vorturnerin ist, eine zwanzigjäh­rige Frau. Wenn Frauen über Banalitä­ten schreiben, dann wird ihnen schnell vorgeworfen, dass das nicht die große Geschichte ist. Dass das eben Alltag ist, und dass man das nicht so lesen möchte. Es gibt mehr Anfeindungen Frauen ge­genüber als Männern. Beim Mann wird positiv bewertet, wenn er sich mit Elternschaft und Familie auseinandersetzt. Jetzt wieder (eigentlich seit Handke) gibt es eine neue Rubrik von Väterliteratur, Männer, die Väter werden, schreiben jetzt Kinderbücher. Männer feiern das ab und werden mit diesen Themen verlegt.

Es gibt mehr weibliche Lesende und dennoch lassen sich oftmals nur wenige Autorinnen auf den Bestsellerlisten finden. Woran liegt das, lesen Frauen lieber Literatur, die von Männern geschrieben wird?

Es gibt ein Moment, welches sich nicht ganz auflösen lässt. Unter den Lite­raturkritikerInnen im deutschsprachigen Feuilleton sind immer noch viele ältere weiße Herren, die sagen, wo es lang ge­hen und was man lesen soll, und da gibt es dann diese „natürliche Verbunden­heit“ mit dem männlichen Schriftsteller. Junge Männer haben einen Startvorteil.

Beginnt das schon bei der Manuskripteinreichung gegenüber den Verlagen?

Da wird jeder sa­gen, dass es egal ist, es käme nur auf den Inhalt an, und dass der Mensch, der sich dahinter verbirgt, zweitrangig ist. In den namhaften Verlagen sind auf den vorderen Plätzen mehr Män­ner als Frauen. Vor ca. 20/30 Jahren, als das erstmalig thematisiert wurde, da nannte man die Literatur der Frauen Frauenliteratur. Die Idealvorstellung war die junge, gutaussehende Schrift­stellerin, die etwas zu sagen hat, aber wenn sie sich nicht an die Regeln hält oder älter, kritischer und sperri­ger wird, dann kann man ihre Inhalte schnell wieder auf die Seite legen. An den Hebeln sitzen nach wie vor viel mehr Männer. Es besteht immer noch die Annahme, dass es große und kle­ine Geschichten gibt und dass Frauen eher über Dinge schreiben, die mit dem kleinen persönlichen Umfeld zu tun haben, und Männer über die „große Geschichte“. Zu mir hat mal bei mei­nem vorletzten Roman ein Lektor gesagt, dass er sehr überrascht wäre, dass dieser von einer Frau geschrieben sei. Ja, das ist erstaunlich, dass Frauen so etwas 2010 zu hören bekommen, dass jemand so etwas ausspricht. Also, dass Männer die allgemeingültige Literatur schreiben und Frauen immer noch eine Nische in der Literatur bilden. Nie­mand würde sich das öffentlich trauen so zu formulieren.

Oft sind Debütromane von Frauen stark autobiografisch durchwachsen und beschreiben Befindlichkeiten, ich stelle mir vor, dass die Prognose, danach weiterzuschreiben, keine einfache ist.

Das trifft genauso auf männliche wie auf weib­liche Debütromane zu. Es gibt eine Kategorie von Debüts, die sich ganz stark mit dem coming of age, mit dem Erwachsenwerden, sich selber zu fin­den, beschäftigt. Diese lässt sich auch bei männlichen Autoren finden.

Wie kommt ihr in der Alten Schmiede an AutorInnen heran?

Es gibt eine große Verbundenheit der Alten Schmiede mit AutorInnen, wenn jemand schon hier gelesen hat. Die SchriftstellerIn­nen sind bei uns keine Nummern. Wir haben unterschiedliche Reihen, Werkstattgespräche innerhalb unserer Struktur. Wenn ich SchriftstellerInnen vorstelle, dann nicht als Literaturwis­senschaftlerin, sondern als Autorin und Kollegin, in verschiedenen Reihen werden unterschiedliche Aspekte des Schreibens beleuchtet, z.B. auch die prekäre Situation.

Prekäre Arbeitsverhältnisse von AutorInnen, das ist ein wichtiges Thema. Es gibt viele Literaturpreise im deutschsprachigen Raum oder auch Stipendien. Es gibt nun den Österreichischen Buchpreis sowie einen Debütpreis, die vom Kultur- und Kunstminister ausgeschrieben wurden. Bringt das etwas?

Es ist zwar auf der einen Seite super, wenn jemand einen Preis bekommt, der mit 20.000 EUR dotiert ist. Das verschafft Sicherheit. Das ist eine Summe, die über einen längeren Zeitraum ausreicht. Es sollte jedoch nicht unterschätzt werden, ins­ besondere, wenn es um so was wie den Deutschen Buchpreis geht, dass sich alle, die mit Literatur zu tun haben, an diesen Listen abarbeiten. In den Print­medien und beim Rundfunk wird ein­fach nur mehr abgearbeitet. Es gibt ja nicht weniger Bücher, sondern mehr. Und vor der Preisverleihung müssen alle diese Texte, die dann auf der Shortlist waren, besprochen werden. Und für die anderen Bücher, die auf der Buchmesse vorgestellt werden und die im Herbst erschienen sind, ist kein Platz mehr. Das ist eine heftige Nebenwirkung. Unter den SchriftstellerInnen ist es ähnlich wie in anderen Berufsgruppen. Die meisten SchriftstellerInnen können nicht vom Buch­verkauf leben. AutorInnen bekommen etwa 10% vom Nettoladenpreis. Es müssten über 10­-15.000 Exemplare verkauft werden, um vielleicht ein Jahr davon zu leben. Die erste Auflage ist meist bei 1.000 Exemplaren liegend.

Du hast in deinem letzten Roman „Wir erben“ starke Frauencharaktere beschrieben!

Die gibt es in allen meinen Romanen. Ich habe das Gefühl, dass es im wirklichen Leben auch so ist. Ich schreibe nicht explizite Frauenliteratur und habe an sich etwas gegen den Begriff. Meiner Meinung nach diffamiert der Begriff, er wird verwendet, um etwas kleiner zu machen. Ich verwehre mich gegen eine Nischenstellung. Ich bin der Mei­nung, jede/r kann alles machen. Es sollte eine tatsächliche Gleichberechtigung geben, dass jede/r innerhalb ei­gener Wünsche sich verwirklichen kann. Mich stört es, wenn ich auf der Wirtschaftsseite einer Zeitung fünf Köpfe habe und das immer nur Män­ner sind. Schriftstellerinnen hätten es leichter, wenn die weibliche Heldin in ihrem Roman ein männlicher Held wäre. Dann kann so ein Roman nicht so leicht in die Frauenschiene hin­eingequetscht werden. Dann hätte es eine Schriftstellerin leichter bei den alten Säcken, die etwas zu sagen ha­ben, die würden sich das anders an­schauen. Mit dem männlichen Ego ist mehr möglich. Dann wird das jewei­lige Thema breit aufgenommen.

Es gibt ja auch Autoren, die eine weibliche Hauptfigur im Roman entwickeln.

Da ist man dann schnell wieder bei dem Jelinek­-Verdikt, dass die Frau keinen Platz hat oder vielleicht im Blick des männlichen Autors ist. Die Frau als Frau durch den Mann vermittelt hat vielleicht immer noch mehr Existen­zberechtigung als die Frau durch die Frau vermittelt.

Wir sind jetzt in einer Situation, wo junge Frauen die Erfolge der feministischen Bewegung geerntet haben und nicht unbedingt erkennen, wie viele Kämpfe sich dahinter verbergen.

Ja, das gilt für jüngere Frauen. Die Ernte ist schon eingefahren, es gibt dadurch Selbstverständlichkeiten, ganz andere als bei der Müttergeneration, die heute über 50 ist. Es gibt sicher Frauen, die um die 30 sind, die sagen, sie brauchen das alles nicht. Ich kann ja alles machen und bin emanzipiert. Gleichzeitig hat man dann beispielsweise im amerikanisch­en Wahlkampf den Eindruck, dass nur der medialisierte Vorwurf eines sexistischen Missbrauchs dem repub­likanischen Präsidentschaftskandida­ten Trump zur Gefahr werden kann. In den letzten Jahren gab es immer wieder einen Aufschrei, wenn sexuelle Über­griffe stattgefunden haben, aber das ist nur sehr schlaglichtartig, die Diskus­sion darüber geht nicht in die Tiefe. Übergriffe sind ein Alltagsphänomen, ein professionelles Phänomen in ver­schiedensten Berufen, im Journalismus, in der Wirtschaft oder in der Politik, auch im familiären Umfeld… Wenn ich in der Zeitung lese, dass jede vier­te Frau Opfer sexueller Gewalt wird, dann ist das nicht zu verharmlosen. Es wird jedoch nicht zusammengebracht. Man kann über Köln diskutieren, über Migranten, und wenn es um die europäischen Werte und den Katholizis­mus geht, dann werden die eigenen Missbrauchsfälle von den weißen Männern hier nicht erwähnt.

Danke für das Interview!