Hannahs Bauchschmerzen

Hannahs Bauchscherzen stammen daher, dass sie von ihrem Stiefvater missbraucht wird. „Nicht die Kleine“, fleht sie ihn an und will mit ihrem Schweigen ihre Halbschwester, seine leibliche Tochter beschützen. „An der Vergangenheit kommt keiner vorbei. Besser man gewöhnt sich daran.“ Auf Seite der Männer der Familie sind es Kriegsgefangenschaft oder der geheime Stolz darauf, bei der Waffen-SS gewesen zu sein. Die Frauen der Familie verbinden zwei Dinge: Sie werden mit einem rätselhaften Schlangenschwanz geboren und sind Teil einer Familiengeschichte, in der sich gewaltsame Strukturen über die Generationen hinweg fortschreiben. Verschweigen, Wegschauen und Zudecken sind die Strategien mit beidem umzugehen.

Wie ein Fluch scheint den Mädchen der mysteriöse Schlangenschwanz als sie noch jung sind. Wie eine Flucht oder ein Rückzug in die Fantasie einer rettenden Verbindung mit den Vorfahrinnen wirkt er beim Lesen. Diese Verbundenheit ist es allerdings, aus der schließlich die Stärke erwächst, den Missbrauch zu benennen. Ein hoffnungsvolles und schönes Buch, das subtil aufzeigt, wie sich Unterdrückung strukturell in patriarchalen Familienverhältnissen reproduziert. Heike Kühn versteht es hervorragend, die Mechanismen zu beschreiben, die Opfer und Täter über Gewalt im engsten Kreis der Familie, aber auch in einer von nationalsozialistischer Vergangenheit geprägten Gesellschaft, zum Schweigen bringt.  dallh

Heike Kühn: Schlangentöchter. Roman. 382 Seiten, Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main 2014EUR 25,60