Näher dran als einer lieb ist

Vermutlich wissen viele von uns, dass die Lebensbedingungen in vielen osteuropäischen Staaten die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern zur Folge haben. Mit diesem Roman führt die Autorin direkt an die Seite eines fünfjährigen, elternlos lebenden Mädchens in der Ukraine. Die Leserin begleitet Samira durch die Jahre in einem Heim. Als ihre Freundin von einem deutschen Ehepaar adoptiert wird, entsteht in ihr ein unzerstörbares Ziel: sie will nach Deutschland zur neuen Familie ihrer Freundin. Darauf konzentriert sie ihre Energie, dafür nimmt sie in den folgenden zehn Jahren ihres Lebens Situationen in Kauf, an denen andere Menschen verzweifeln oder zerbrechen. Sie findet nach der Flucht aus dem Heim einen Kreis von Jugendlichen, die in einem Abbruchhaus leben und von Betteln und Kleinkriminalität leben. Dort geht sie freundschaftliche Beziehungen ein und erlebt eine Art von Fürsorge. Das wird einfühlsam beschrieben. Mit zuneh¬mendem Alter wird sie zum Ziel männlicher Begierden und organisierter sexueller Ausbeutung. Sie schafft es nach Deutschland, aber sie bezahlt einen hohen Preis.

Ich musste mich einige Male zum Weiterlesen überwinden, wollte nicht Voyeurin der geschilderten Vorkommnisse sein. Zudem hat mich gestört, dass Samira als besondere Schönheit geschildert wird und diese Schönheit wie ein Auslöser jegliche weitere sexuelle Ausbeutung in Gang setzt. Im reißerischen Text auf der Klappeninnenseite wird sie als Heldin bezeichnet. Ich würde sie als Überlebende bezeichnen, die zum letztmöglichen Zeitpunkt HelferInnen gefunden hat.

Erna Dittelbach

Lana Lux: Kukolka. 375 Seiten, aufbau Verlag, Berlin 2017 EUR 22,70