Selektive Abbrüche im Fokus

Kirsten Achtelik hat sich die lange Geschichte der Pränataldiagnostik (PND) auf Grundlage der deutschen Rechtsprechung genau angesehen, beleuchtet (teilweise sehr) unterschiedliche feministische Befunde ebenso wie behindertenpolitische. Das Thema ist PND (PID wird nur kurz gestreift) und daraus resultierende Abbrüche. Achtelik beantwortet die Frage „Kann eine Feministin konsistent für ein Recht auf Abtreibung, aber gegen selektive Abtreibungen eintreten?“ mit einem „klaren Ja“. Der Großteil des Buches beschäftigt sich bemüht neutral mit feministischen Argumenten und spannt dabei einen weiten geschichtlichen Bogen rund um Schlagwörter wie Selbstbestimmung, Wert des „behinderten“ Lebens und Fremdbestimmung durch Technologie. Das ist gut gelungen. Dass in der Argumentation jedoch keine Differenzierung im Begriff „Behinderung“ vorgenommen wird, wenn es darum geht, welche genaue Diagnose Frauen zum Spätabbruch bringt, stört mich. Auch die Feststellung, dass das Ziel von PND „die Selektion ist“, greift zu kurz. PND kann sehr wohl helfen, Diagnosen zu stellen, um lebensrettend eingreifen zu können. Ich würde mir zusätzlich zu der geschichtlichen Aufarbeitung und jedenfalls notwendigen Diskussion im feministischen Kontext wünschen, dass auch endlich einmal betroffene Frauen ausführlich zu Wort kommen. Und zwar nicht nur über Kurzbefragungen, um ihre kurzen Antworten dann umfangreich zu interpretieren (oder Begründungen wie „Ich wollte das Beste für mein Kind“ lapidar zu entwerten). Achtelik beschließt ihre Ausführungen mit eigenen „Vorschlägen“. Einer davon ist, dass PND keine Kassenleistung mehr sein sollte, um die Angebote einzuschränken, weil Frauen die Untersuchungen dann extra anfragen und zahlen müssten. Dies halte ich besonders im Hinblick auf eine drohende Zwei-Klassen-Medizin für gefährlich.

GaH

Kirsten Achtelik: Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung. 223 Seiten, Verbrecher Verlag, Berlin 2015 EUR 18,60