40 Jahre frauen*solidarität

Zum 40-jährigen Bestehen der frauen*solidarität erschien im Oktober die Publikation Global Female Future. Wie feministische Kämpfe Arbeit, Ökologie und Politik verändern. Miriam vom WEIBERDIWAN hat mit einer der Herausgeber*innen, Andreea Zelinka, über das Buch, die umfangreiche Geschichte und die diversen Arbeitsbereiche der frauen*solidarität gesprochen.

WEIBERDIWAN: Wie ist die frauen*solidarität entstanden und was sind ihre zentralen Anliegen und Arbeitsbereiche?

ANDREEa: Die frauen*solidarität hat sich in den frühen 1980er Jahren aus dem Engagement einiger entwicklungspolitisch interessierter Feministinnen gegründet. In erster Linie ging es ihnen um die Kritik der Frauenfeindlichkeit in der ‚Entwicklungshilfe‘, wie es damals noch hieß. Sie haben sich gefragt, warum bestimmte Gelder nur an Männer im globalen Süden fließen und wie die Anliegen und Lebensrealitäten von Frauen im globalen Süden sichtbarer und hörbarer gemacht werden können. Und um das zu bewerkstelligen, wurde 1982 die frauen*solidarität als Organisa­tion und die gleichnamige Zeitschrift ins Leben gerufen. Es ging darum, globale Ungleichheiten feministisch zu reflektieren, und das tut es auch heute noch, und zwar mit einer intersektionalen Perspektive.

WEIBERDIWAN: Ich kenne die Zeitschrift nun schon länger und ähnlich wie in Global Female Future sind darin auch meistens sehr viele Stimmen aus den unterschiedlichsten Ländern und Regionen zu lesen. Wie ist es gelungen, ein solches Netzwerk an Autor*innen zu spinnen?

ANDREEa: Ich glaube, diesbezüglich hat sich mit der Zeit einiges geändert. Zu Beginn waren es hauptsächlich die Frauen aus dem Umfeld der frauen*solidarität, die im entwicklungspolitischen Kontext gearbeitet und darüber geschrieben haben. Das allererste Frauenprojekt der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit war ‚Concientización‘ (Bewusstmachung). Das Selbsthilfe- und Beratungszentrum in Kolumbien wurde 1982 von der frauen*solidarität initiiert. Durch die Zusammenarbeit entstanden Kontakte und Beziehungen zu Frauen und Aktivist*innen der Region. In der Zeitschrift wurde dann über die Themen geschrieben, die sich daraus ergaben, wie z.B. Ressourcenverbrauch, Ausbeutung und Sexismus. Aber auch über die Begegnungen vor Ort, die Vernetzung unter den Frauen, in Form von Erfahrungsberichten. Mittlerweile hat sich das gewandelt, auch in dem Sinne, als dass man fragt, wer für wen spricht. Wir in der Redaktion versuchen, einen Raum zu schaffen, in dem FLINTA* und marginalisierte Gruppen selbst ihre Geschichten erzählen können.

WEIBERDIWAN: 40 Jahre sind eine lange Zeit und erfordern wahrscheinlich viel Leidenschaft, aber auch Unterstützung, um eine Zeitschrift so lange und auf so einem Niveau zu erhalten?

ANDREEa: Ja, es hat viel mit der Motivation im Team zu tun und wäre in der Form ohne die Unterstützung der Abonnent*innen und die Förderung durch die Austrian Development Agency nicht möglich. Das ist auch insofern eine gute Angelegenheit, als dass wir ja gesehen haben, dass das Frauenministerium in letzter Zeit öfter feministische (Medien-)Projekte nicht weiter unterstützt.

WEIBERDIWAN: Wie kommt ihr an die Beiträge für die jeweiligen Ausgaben?

ANDREEa: Wir haben Autor*innen, die regelmäßig für die frauen*solidarität schreiben und bestimmte Themen oder regionale Schwerpunkte mitbringen. Bei der Recherche nach neuen Autor*innen, die sich mit relevanten Themen auseinandersetzen oder in aktuellen Kämpfen aktiv sind, ist das Internet sehr hilfreich (lacht). Aber es gibt Unterschiede: Die feministische Bewegung in Lateinamerika ist beispielsweise einfacher zu erreichen als gewisse Bewegungen in Afrika. Und zwar in der Hinsicht, dass erstere einen vergleichsweise hohen Grad an Vernetzung mit sich bringt und sehr laut und sichtbar ist. Kontakt mit Autor*innen ergibt sich oft auch durch Bekannte und Kolleg*innen. Übrigens sind die künftigen Themenschwerpunkte auch auf unserer Website zu finden und wir freuen uns sehr über Anfragen und Vorschläge! Die frauen*solidarität ist eine Zeitschrift, in der Expert*innen über ihre Arbeit und Aktivist*innen über Kämpfe schreiben, aber auch Nachwuchsförderung ihren Platz hat. Das ist uns sehr wichtig.

WEIBERDIWAN: Was sind die weiteren Arbeitsbereiche und Themen bei der frauen*solidarität?

ANDREEa: Die Bibliothek ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der frauen* solidarität und wird seit 1996 geführt. Damals sammelten sich bei uns feministische Zeitschriften aus z.B. Lateinamerika oder Romane von Autor*innen aus dem globalen Süden in deutscher Übersetzung an. Es wurde uns schnell klar, dass wir öffentlichen Zugang zu diesem einzigartigen Bestand schaffen müssen. Durch räumliche und inhaltliche Verknüpfungen entstand dann die Kooperation mit BAOBAB und ÖFSE, die auch als Organisationen im entwicklungspolitischen Kontext arbeiten. Gemeinsam mit ihnen führen wir seit 2009 die C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik in der Sensengasse. Ein weiterer sehr wichtiger Bereich sind die Medienworkshops. Da geht es ums Radiomachen oder ‚Content createn‘ für Social Media. Dazu gehört auch die offene feministische Radioredaktion Women on Air, die aus einer Kooperation mit Radio Orange 94.0 entstanden ist und die die wöchentliche Radiosendung Globale Dialoge macht. Und wir organisieren Lesungen, Vorträge oder Diskussionen mit FLINTA* aus dem globalen Süden, der Diaspora oder lokalen Communities.

WEIBERDIWAN: Ich habe mir die Website etwas näher angeschaut und dort, ohne es zu bemerken, eineinhalb Stunden geschmökert. Sie bietet sehr viele Materialien wie Workshopsheets, Videos, Toolkits, Veranstaltungsberichte und ein sehr umfassendes Archiv. Warum ist euch das wichtig?

ANDREEa: Die frauen*solidari- tät will Informations- und Bildungsarbeit leisten, über die Situation von Frauen und marginalisierten Personen (im globalen Süden) informieren und sie sichtbar machen. Deshalb ist es wichtig, das Wissen und die Beiträge so zu sammeln und öffentlich zu machen, dass sie möglichst niederschwellig für alle, die sich interessieren, zugänglich sind.

WEIBERDIWAN: Auch im Buch finden sich sehr viele Beiträge zu relativ komplexen Themen der Gegenwart, die aus unterschiedlichen Perspektiven und Gegenden in kurzen und sehr zugänglichen Textformen lesbar gemacht werden. Würdest du dem zustimmen?

ANDREEa: Ja. Wir haben uns für journalistische und literarische Textformen entschieden, um ein Buch zu machen, in das man immer wieder hineinschauen möchte, in dem man zwischendurch einen kurzen Beitrag liest und das zum Nachdenken anregt. Ein Buch, das viele Anknüpfungspunkte bietet, um sich mit feministischen Kämpfen der letzten 40 Jahre bis heute zu befassen.

WEIBERDIWAN: Ihr habt bestimmt länger überlegt, wie ihr das 40-jährige Bestehen als Organisation feiern wollt. Wie kam es schließlich zum Buch?

ANDREEa: 40 Jahre kontinuierliche feministische Organisation und Arbeit sind bemerkenswert und sollten Anerkennung finden. Aber das Buch geht über die frauen*solidarität hinaus und reflektiert feministische Kämpfe der letzten 40 Jahre weltweit. Dazu haben wir Wegbegleiter*innen und Kolleg*innen eingeladen, aber auch Aktivist*innen, die feministische Kämpfe angeführt haben und immer noch anführen oder heute weiterführen.

WEIBERDIWAN: Ich finde den Titel wirklich großartig, er stimmt mich hoffnungsvoll. War er Leitbild für die Publikation oder entstand er als Fazit zum fertigen Band?

ANDREEa: Wir haben versucht, möglichst viele Themen abzudecken, weil feministische Kämpfe immer das ganze Leben betreffen und in verschiedenen Bereichen stattfinden, die zusammenhängen. So sind die Kapitel (Anti-)Rassismus & Postkolonialismus, Gewalt, Reproduktion, Politik, Arbeit und Umwelt & Klima entstanden. Wir hatten schon früh den Arbeitstitel Global Female. Mit der Zeit wurde dann klar, dass wir mit dem Rückblick auf 40 Jahre feministische Kämpfe nicht nur Aussagen über die Vergangenheit und Gegenwart machen, sondern damit auch einen Ausblick auf die Zukunft schaffen. Eine Zukunft, die in jedem Fall feministisch sein wird. Denn trotz aller Rückschläge gibt es sehr viele Menschen weltweit, die täglich darum kämpfen, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen und FLINTA* ein würdiges Leben zu ermöglichen..

WEIBERDIWAN: Das Buch sammelt viele Perspektiven auf die drängenden Fragen unserer Zeit, Stimmen aus unterschiedlichen Disziplinen und Regionen. Warum ist euch ein transnationaler und transdisziplinärer Zugang so wichtig?

ANDREEa: Feminismus ist keine weiße, europäische Erfindung, die nur auf eine Art und Weise aussehen kann und stattfinden soll. Im Gegenteil, Feminismen sind vielfältig, global, intersektional und im besten Fall antikapitalistisch. Genau das soll im Buch durch die unterschiedlichen Formen und Formate gezeigt werden. Es ist wichtig, den unterschiedlichen Lebensrealitäten und Ausdrucksformen Raum zu geben. Wir leben in einer Zeit, in der einfache Antworten und Lösungen gesucht werden. Aber die gibt es leider nicht. Es gibt nicht die eine Antwort auf die Frage, wie eine feministische Zukunft aussehen kann. Es gibt viele Antworten darauf. Aber vielleicht darf man auch die Vielfalt genießen und in sie hineinkippen und stöbern und erkennen, dass alle etwas gemeinsam haben – und das ist der Kampf um ein besseres oder ein gutes Leben für alle Menschen.

WEIBERDIWAN: Danke für das Gespräch.