Leben am Abgrund

Der Ort, an den die Protagonistin Minga in Charline Effahs aktuellem Roman reist, lässt sich wohl am treffendsten als patriarchale Hölle beschreiben. Im ugandischen Flüchtlingslager Bidi Bidi finden Frauen zwar einigermaßen Sicherheit und Schutz, dennoch sind sie gezwungen, ihren brutalen, aufzehrenden Überlebenskampf weiterzuführen. In dem Camp tragen die Frauen „die Narben zweier Kriege: die der Waffen und die der Entwürdigung“. Ihr emotionales Gepäck wiegt schwer. Sie sind traumatisiert, verunsichert und ohne Hoffnung. Auch Minga hadert mit ihrer Vergangenheit. Sie ist auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie als Achtjährige beim gewalttätigen Vater in Paris zurückgelassen hat, um in Bidi Bidi als Krankenschwester zu arbeiten, wo sie später unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt. In den Biografien dreier Frauen im Flüchtlingslager entdeckt Minga Parallelen zur Lebensgeschichte ihrer Mutter. Es sind Frauen mit gebrochenen Flügeln, verletzlich und nackt, die von Männern in Abhängigkeit gehalten, ausgenützt, gedemütigt und missbraucht wurden. Minga erkennt, dass es diesen Frauen ums nackte Überleben geht. Auch Mingas Mutter sah in der Flucht den einzigen Ausweg, wenn auch zu dem hohen Preis, die eigene Tochter verlassen zu müssen. So steht am Ende von Mingas Suche Verständnis und Respekt für die Frauen und ihre unglaubliche Widerstandsfähigkeit in Zeiten des Krieges und der Gewalt. Allerdings bleibt als bitterer Nachgeschmack die Tatsache, dass es heute überhaupt noch gesellschaftliche und politische Verhältnisse gibt, die diese Art von Überlebenskampf nötig machen.
Ute Fuith
Charline Effah: Die Frauen von Bidi Bidi. Aus dem Franz. von Ela zum Winkel. 218 Seiten, Orlanda Verlag, Leipzig 2025 EUR 23,70