Beste Freundinnen

Die Fixierung auf Details trübt den Blick auf das Ganze. Mit zwölf Jahren lernt die neugierige Marie die für sie außergewöhnliche Mella kennen, sie werden unzertrennliche Freundinnen. Nach der Matura geht Mella ein Jahr für eine Au-Pair-Tätigkeit nach England, nach ihrer Rückkehr leben die beiden gemeinsam in einer Wohngemeinschaft, bis sie schließlich 23 Jahre alt sind und ihre Freundschaft aufgrund einer Eifersuchtsgeschichte wegen eines Mannes zerbricht und sie sich Jahrzehnte lang nicht wiedersehen.
Mittlerweile sind beide über 40 und erstmalig begegnen sie sich bei einer internationalen Konferenz in Tokio wieder, wo Marie als Psychologin einen Vortrag über ihre Forschungsergebnisse zu Gewalttätern und deren Familienbeziehungen hält und Mella als Journalistin eingeladen ist. Aus der Perspektive der beiden Frauen wird deren jeweilige Geschichte rekonstruiert und das ist ungewöhnlich. Beide erinnern sich an ihre persönlichen, von der anderen verursachten Verletzungen, begreifen aber zu wenig die eigene Verantwortung für die Konflikte in ihrer gemeinsamen Beziehung. Mellas Mutter Cordula war psychisch krank und suizidal, und Mella hat sich als Einzelkind sehr nach einem normalen Elternhaus mit den üblichen Gegebenheiten gesehnt. Marie hingegen bewunderte Mella für ihr Anderssein. Zwei Mädchen, die sich wegen ihrer gegenseitig nicht vermittelten Deutungen trennen, obgleich sie beide das Ganze wollten. Sprachlich ausgewogen, präzise und einfühlsam geschrieben.
ML
Gudrun Seidenauer: Was wir einander nicht erzählten. 264 Seiten, Milena, Wien 2018 EUR 24,00