Bildstark und politisch

Ohne Umschweife steigt Zsófia Bán in ihre Erzählungen ein und wirft uns in verschiedenste Szenarien: Da ist einmal eine Familie, die nach ihrer Flucht aus einem Kriegsgebiet an der ungarischen Grenze festsitzt und sich zwischen Anfeindungen und Hilfsbereitschaft der Einheimischen zu orientieren versucht. Ein andermal entdeckt eine Frau am Himmel unbekannte Flugobjekte und erfährt in einem chinesischen Schnellimbiss unerwartet von deren Herkunft. Dann überlegt wieder ein französischer Schneidermeister österreichischer Herkunft auf dem Eiffelturm, ob er seinen selbsterfundenen Fallschirm wirklich ausprobieren soll. Auf verschiedensten Ebenen geht es um Nähe und Distanz, Enge und Freiheit. Im Mittelpunkt der abwechslungsreichen Erzählungen stehen die Menschen und ihre Gedankenwelt. Dabei schreckt die Autorin auch vor philosophischen oder politisch brisanten Themen nicht zurück und schreibt sowohl von gewöhnlichen, als auch von absurden und phantastischen Situationen. Ob die Geschichten nun hoch oben auf einem Zirkustrapez, in einem Dampfbad oder in der ungarischen Peripherie angesiedelt sind, Zsófia Bán erschafft schon mit wenigen Sätzen plastische Bilder der Orte, von denen sie erzählt. Sprachlich virtuos und inhaltlich anregend, lädt dieser Erzählband ein, verschiedenste Orte und interessante Personen zu erlesen – Empfehlung für Liebhaberinnen kurzer Geschichten mit Tiefgang.

ReS

Zsófia Bán: Weiter atmen. Aus dem Ungar. von Terézia Mora. 173 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2020 EUR 22,70