Cottoneske Spekulationen

Lyophilia, von Ann Cotten als „Science-Fiction auf Hegelbasis“ angekündigt, erinnere, so der Klappentext des Verlags, an Tarkowskijs Special Effects: Eine Formulierung, vor eine Wirklichkeit gehalten, und plötzlich wird präzise, was sonst in der Form eines dumpfen Ahnens herumvegetiert.
Von den 12 Prosatexten haben „Proteus“ und „Anekdoten vom Planeten Amore (Kafun)“ mit jeweils um die 200 Seiten schon Romanformat. Sind es in Proteus noch Menschen wie der ewig jugendliche Musiker Zladko aus Wien und die slowenische 2fach Mutter/Politikerin Ganja, die zu viel trinken und nicht zu wenig Sex haben, so ist es dann auf dem Planeten Amore die AI, welche die Beziehungen der Menschen studiert. Zeitreisen in Paralleluniversen mittels Gefriertrocknung (Lyophilisation), wo Wünsche und Gedanken noch vor ihrer Formulierung Gestalt annehmen. Uto- oder Dystopie? Vieles geschieht in diesen verwirrenden Geschichten.
Leserni* (das polnische „Gendering“: Alle für alle Geschlechter nötigen Buchstaben kommen in gefälliger Reihenfolge ans Wortende) sucht Handlung, sucht Sinn, sucht Figuren zur Identifikation. Poetik zu lieben würde helfen. Es ist Cottens gewaltige Sprachverspielt/-liebtheit, die es schwierig macht folgen zu wollen. Altes Latein, ein bisschen Wienerisch, Neudeutsch/Englisches und Poetisches fordern ebenso wie verschiedene Zeit/Raumebenen und philosophische Theorien. Zweifelsohne eine große intellektuelle Herausforderung. Oder wie ein Bewohnernin von Amore (Kafun) meint: Es ist alles so widersprüchlich hier, so unentschieden. Sehr nett sind übrigens die Illustrationen der Autorin.

Mirjam Fielhauer

Ann Cotten: Lyophilia. Erzählungen. 463 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2019 EUR 24,70