Gefängnistrauma

2001 wurden Sibylle Plogstedts (Mitgründerin der Courage) Gefängniserfahrungen erstmals aufgelegt, heuer wurden sie neu herausgegeben. Die Autorin war 1968 politisch im deutschen SDS tätig und unterstützte Petr Uhl, einen wichtigen politischen Oppositionellen in der Tschechoslowakei, und seine Gruppe, die dort am Aufstand (Prager Frühling) gegen die damaligen Machthaber beteiligt waren. Schließlich wird Sibylle inhaftiert und zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie schildert ihren Alltag als politische Gefangene im Gefängnis und bezieht sich auf ihre weiblichen Mithäftlinge. Eine der dortigen persönlichen Begegnungen ist Marta, mit dieser teilt sie schließlich eine Zelle und damit auch deren kommunizierten paranoiden Wahrnehmungsmuster, die sie fast an den Rand der Verzweiflung treiben. Marta schreibt existentialistische Gedichte und versorgt Sibylle mit rätselhaften Beschreibungen der repressiven Umgebung. Jahrzehnte später, nach der Wende, recherchiert die Autorin vor Ort, ob Marta eine Auftragsnehmerin des Geheimdienstes oder aufgrund einer psychischen Erkrankung agiert hat. Der Gefängnisalltag ist nachvollziehbar rekonstruiert. Anhand von Sibylles Aufdeckungsarbeit wird deutlich, wie intensiv und nachhaltig die Beziehung zu Marta sie bewegt hat. In Anbetracht dessen, wie produktiv sie filmisch und journalistisch in den letzten Jahr-zehnten war, ist es beeindruckend, wie sie vermittelt, dass die Auflösung ihres Gefängnistraumas ihr lebensbegleitendes Primärthema gewesen sei.
Antonia Laudon
Sibylle Plogstedt: Im Netz der Gedichte – Gefangen in Prag nach 1968. 200 Seiten, Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach/T. 2018 EUR 16,00