Geschlechterstereotypisierung vor dem Strafgericht

Anhand von verschiedenen Tötungsdelikten durch Frauen historisch und aktuell zeichnet die Autorin mittels Diskursanalyse nach, wie weibliches Geschlecht vor dem Strafgericht reproduziert wird. Kriminelles Fehlverhalten der Frauen wird von Seiten der Diskursträger als weniger autonomiegeleitet gedeutet, männlichen Straftätern wird dagegen in Gutachten oder in der Presse eine bewusste egoistische Motivation betreffend des Tatbildes vorgeworfen, was ein längeres Strafausmaß zur Folge hat.
Beschreibende Kategorien wie das äußere Erscheinungsbild (Körperlichkeit, Umgangsformen, Kleidung und Frisur) und die Psyche der Täterinnen sind für den Diskurs wesentlich. Selbstbewusste Täterinnen aus dem Bildungsbürgertum werden pathologisiert, indem ihnen aufgrund einer regen Phantasie eine psychische Krankheit unterstellt wird. Sie werden z.B. als habituelle Lesbe sichtbar gemacht, an ihnen wird kritisiert, dass sie männliche Züge aufweisen würden. Dadurch wird verhindert, dass selbst-ermächtigende Täterinnensubjekte die symbolische Ordnung der Geschlechter in Frage stellen. Täterinnen aus ärmlichen sozialen Verhältnissen hingegen werden als Opfer ihres sozialen Umfeldes interpretiert und entsprechen der klassischen gesellschaftlichen Rollenzuweisung. Das Strafgericht markiert einen weiteren Ort, an dem traditionelle Geschlechterrollen verfestigt wurden und werden. Die Selbstrepräsentation der Täterinnen und Täter vor Gericht unterstützt diese Hypothesen. Interessant!
ML

Melanie Grütter: „Verworfene Frauenzimmer“. Geschlecht als Kategorie des Wissens vor dem Strafgericht. 282 Seiten, transcript, Bielefeld 2017 EUR 35,29