Göttinnen, Hexen und Nazis 

Seit Jahrhunderten verlassen sich die DorfbewohnerInnen der Weißen Karpaten auf ihre sogenannten Göttinnen, weise Frauen, die der Heilkunde und der Wahrsagerei mächtig sind. Dora Idesová, geboren 1958, ist die letzte Nachfahrin der Göttinnen von Žítková. Sie wächst gemeinsam mit ihrem Bruder Jakoubek bei ihrer Tante Surmena auf und erlebt mit, wie Surmena als Göttin wirkt. Denunziert von Spitzeln reißt der tschechoslowakische Staat die Familie auseinander: Surmena kommt als Volksfeindin in die geschlossene Psychiatrie, Jakoubek in ein Heim für behinderte Kinder und Dora in ein Internat. Die erwachsene Dora studiert Ethnografie und erforscht nach dem Zusammenbruch der Tschechoslowakei die Göttinnenkultur ihrer Heimat. Sie steht ihrem Thema ambivalent gegenüber, versucht Rationalität gegen Magie zu setzen. Jahrelang durchforstet sie mühevoll die Archive, nur langsam erschließt sich ihr aus den vielen Akten das ganze Ausmaß der Machtverhältnisse, die ihre Familie zerstört haben: Was erhofften sich die Nazis vom SS-Hexensonderauftrag? Kooperierten die Göttinnen mit den Nazis? Warum denunzierten die kommunistischen VolksgenossInnen die Göttinnen? Wohin führt ihre lesbische Affäre? Was verschweigen ihr die DorfbewohnerInnen? Die tschechische Autorin Kateřina Tučková hat ein großartiges Buch vorgelegt, das zum Teil auf wahren Frauenschicksalen beruht. Die Erzählung von Dora ist durchwoben von Akten der Staatssicherheit, die erschreckende Einblicke in die Staatsmacht geben. gam

Kateřina Tučková: Das Vermächtnis der Göttinnen. Eine merkwürdige Geschichte aus den Weißen Karpaten. Roman. Aus dem Tschechischen von Eva Profousová. 412 Seiten, DVA, München 2015
EUR  23,70