Jüdisch, deutschsprachig, transnational

Die Germanistin und Medienpädagogin Lydia Heiss untersucht in dieser Studie drei autofiktionale Texte von jüdischen Autorinnen, die auf Deutsch schreiben, jedoch mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen und aus Osteuropa nach Deutschland migriert sind. Leitfrage ist, wie in den literarischen Texten jüdische Identität konstruiert wird, insbesondere in Bezug auf die Vergangenheit Deutschlands und die Auswirkungen des Holocausts. Zunächst werden Themenwahl und Analyseverfahren erläutert, daran anschließend folgen theoretische Überlegungen zum Genre der „Autofiktion“, zur Konstruktion von Identität und zur Verwendung einer der mit der Muttersprache nicht übereinstimmenden Textsprache. In den folgenden drei Kapiteln werden ausgewählte Werke der Autorinnen Lena Gorelik, Katja Petrowskaja und Olga Grjasnowa genau unter die Lupe genommen: Welches Selbstverständnis haben die (autobiografisch inspirierten) Protagonistinnen hinsichtlich ihrer jüdischen bzw. ihrer transnationalen Identität? Spielt eher die ethnisch definierte oder die religiöse Komponente des Judentums eine Rolle? Welche Funktion hat das in allen drei Werken ausgewählte Genre der Autofiktion und inwiefern hängt diese Wahl mit „weiblichem Schreiben“ zusammen? Jede der dargestellten Ich-Erzählerinnen befindet sich in der misslichen Lage, in Deutschland nicht als „normale“ Mitbürgerin wahrgenommen zu werden, sondern ständig eine Sonderrolle zugeschrieben zu bekommen. Dabei scheint es für die Betroffenen ebenso nervenaufreibend zu sein, mit antisemitischen Vorteilen konfrontiert zu werden, wie philosemitisches „Überinteresse“ an der eigenen Person nur aufgrund ihres jüdischen Backgrounds ertragen zu müssen. Interessante Beobachtungen zu gegenwärtiger Literatur, die auch zur Reflexion der eigenen Position einladen.

ReSt

Lydia Helene Heiss: Jung, weiblich, jüdisch – deutsch? Autofiktionale Identitätskonstruktionen in der zeitgenössischen deutschsprachig-jüdischen Literatur. Reihe: Poetik, Exegese und Narrative. Studien zur jüdischen Literatur und Kunst, Band 15. 272 Seiten, V&R unipress, Göttingen 2021 EUR 47,00