Niemand starrt so schön wie sie

Virginie Despentes macht einfach alles richtig. Seit den 1990ern schreibt sie und seit 2000 dreht sie sporadisch Filme. Nach dem Abschluss ihrer fulminanten VernonSubutex Trilogie (2015 – 2018) wurden unlängst die ersten neun Folgen der gleichnamigen Serie in Frankreich ausgestrahlt. Direktheit, Sarkasmus, Humanismus und Humor ergeben diese unwiderstehliche Mischung, die den Reiz ihrer Bücher ausmacht. Die Hauptfigur Vernon Subutex, ein in die Jahre gekommener Ex-Plattenhändler, Weiberheld und Müßiggänger landet abrupt in der Obdachlosigkeit und wandelt sich durch sein Leben auf der Straße, durch das er erstmals gezwungen wird, Verantwortung zu übernehmen, zum besseren Menschen und Rave-Guru.
Er ist das Bindeglied zwischen seinem illustren Freundeskreis, der über die Jahre auseinandergedriftet ist und durch ihn wieder in Beziehung tritt. Selbstbewusste Frauen treffen auf selbstverliebte Waschlappen und eine obdachlose Riesin verdrischt Neonazis. Sie alle werden am Ende nicht mehr dieselben sein. Selbst aus proletarischem Milieu stammend, weiß Despentes, wovon sie berichtet. In ihrem Sittenbild der gegenwärtigen Gesellschaft verleiht sie nicht nur Außenseiterinnen eine Stimme, sie trifft auch den Nerv einer gesellschaftspolitischen Verunsicherung, die sich quer durch alle Schichten in Frankreich und Europa zieht. Mit untrüglichem Gespür für das Individuum, zerrieben im Spannungsverhältnis zwischen Freundschaft und galoppierendem Neoliberalismus, illustriert sie anhand eines umfangreichen Figurenensembles eine Gesellschaft, die sich sehenden Auges in den Untergang katapultiert. Gekonnt wechselt sie den Tonfall von Band zu Band und beschreibt so den Zerfall von politischen Konzepten und Solidarität. Am Ende des Romanepos‘ entlässt sie uns in das Paradox einer dystopischen Utopie, einen Zustand, der an Kinonachmittage erinnert, wenn wir nach Stunden der Dunkelheit des Kinosaals ins Licht der Realität taumeln. Mittlerweile ein Superstar der gegenwärtigen Literarturszene wirkt sie in Interviews nach wie vor zurückhaltend und offen zugleich. Den Blick meist intensiv auf das Gegenüber oder ins Leere gerichtet, entwickelt sie ihre Überlegungen scheinbar beim Sprechen und erweist sich auf den zweiten Blick als schlagfertiges und eloquentes Gegenüber.
VirginieDespentes kann einfach alles, behaupte ich. Ich hoffe für uns alle, dass sie einfach so weitermacht wie bisher.
ElisabethStreit
Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex 3. 416 Seiten, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018 EUR 22,70