Engagierte Berichterstatterin
„Das Land brauchte ihn so dringend“ ist der Titel der ersten Reportage Regula Renschlers in dem im Lenos Verlag herausgegebenen und mit einem ausführlichen Vorwort von Jakob Tanner versehenen Sammelband. Dieser Artikel erschien anlässlich der Ermordung des US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Jahr 1963. Regula Renschler war „vor Ort“, sie beobachtete und interviewte Menschen, die sie auf der Straße in Houston und Dallas traf und berichtete über Reaktionen wie sie auch die möglichen Auswirkungen des Ereignisses analysierte. Dieses Zusammenspiel von sehr durchdachter politischer Analyse auf Basis ihrer Lektüre, Beobachtungen und Gesprächen durchzieht die hier zusammengestellten Artikel, egal ob es sich um den Krieg in Biafra oder den Kampf um das Frauenstimmrecht in der Schweiz handelt. Sicher waren die Arbeitsbedingungen für Journalist_innen, so auch für die heute 80-jährige Regula Renschler, in den 1960er bis 1980er oder sogar -90er Jahren noch andere als heute. Aber abgesehen davon ist ihr Engagement, das sich in den Berichten widerspiegelt, beeindruckend.
Kritisch ist zu sehen, dass die Verwendung rassistischer Begriffe – wenn auch in der Beschreibung von Abwertung – nicht zumindest kommentiert wurde. Das kann von einer Publikation aus dem Jahr 2015 verlangt werden. Nichtsdestotrotz sind die Artikel mit Jakob Tanners Begriff „weltaufschließend“ richtig benannt. Die Autorin hat sie mit kurzen Zusätzen über die heute aktuelle Lage oder einer Einleitung versehen, so dass Leser_innen die von 1963 bis 2007 entstandenen Texte sinnvoll einordnen können.
Paula Bolyos
Regula Renschler: Vor Ort. Reportagen und Berichte aus fünf Jahrzehnten. 224 Seiten, Lenos Verlag, Basel 2015 EUR 18,50