Streifzug durch Psychiatriegeschichte

„Gespensterfische hatten einen durchsichtigen Kopf, in dem die grün schillernden Augäpfel vollständig zu sehen waren. Der hohe Druck, der Mangel an Sauerstoff und Pflanzen, die dauerhafte Kälte und die fast vollständige Dunkelheit brachte unwirklich anmutende Wesen hervor. Im Laufe der Evolution hatten die Tiere sich an die unwirtlichen Bedingungen angepasst, manche generierten sogar ihr eigenes Licht.“ Diese titelgebenden Überlebenskünstler*innen stehen in Svealena Kutschkes Buch sinnbildlich für alle Menschen, bei denen psychische Belastungen/Erkrankungen Folge von, aber auch Schutzmechanismus vor widrigen bis feindseligen gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Mit präziser, bestechender Sprache schildert der Roman Episoden und Ereignisse eines Jahrhunderts deutscher Psychiatriegeschichte aus der Perspektive unterschiedlicher Charaktere, die allesamt durch ihre Komplexität und Widersprüchlichkeit, aber auch Feinfühligkeit und Resilienz bestechen. Zahlreiche Mosaiksteine ineinander verwobener Geschichten fügen sich zu einem ganzheitlichen Bild zusammen: der totalen Institution Psychiatrie als Ort von Gewalt und Zwang, der ein starrer Normativitätsanspruch zugrunde liegt. Eindringlich schreibt sie über Deportationen während der NS-Zeit, über das Wegsperren von als deviant markierten Menschen, aber auch über Solidarität und Hoffnung. Intensive, berührende Lektüre.
Maria Hörtner
Svealena Kutschke: Gespensterfische. 224 Seiten, Schöffling & Co, Frankfurt 2025 EUR 24,00