Abnabelungen und Neuanfänge
Der erste Roman der talentierten Jungautorin Lydia Steinbacher ist eine berührende Würdigung an das kaum beachtete Unrecht von Vertreibung, Zwangsumsiedlungen und Zwangsarbeit, das den Nachkommen der wolgadeutschen Kolonien bis in die junge Gegenwart hinein widerfahren ist und vor dem Hintergrund des derzeit kriegerischen Geschehens besonders aktuell ist. Die Autorin verknüpft die Erinnerungen des alternden russlanddeutschen Alexandr an seine Ursprungsfamilie und deren real erlebtem Leid in Sibirien mit dem Ringen des jugendlichen Jonathans um Freiheit, selbstbestimmte Identität und Liebe in einem kleinen österreichischen Dorf, dessen Grenzen und Möglichkeiten beklemmend eng gesteckt sind. Es bleibt bis zuletzt spannend, in welche Richtung sich seine bis ins Wahnhafte zuspitzenden Gefühle für Abel entwickeln werden. Mit gekonnt feinsinnig detaillierten Beschreibungen wird die Leserin mitgerissen in die Gedankenwelten der Protagonist*innen, die manchmal voller Mut und Kampfgeist sind und dann wieder verzweifelt, psychotisch, voller Scham. Eine Schlüsselrolle kommt der Tierärztin und Hobby-Kellnerin Lana zu, die sich ihre Freiheiten einfach nimmt, manchmal verwirft und sich immer wieder neu ausprobiert. Als Gegenpart zur dörflichen Männerschar wird sie zur eigentlichen, weil feministischen Heldin der Geschichte.
Elke-Katharina Bamberger
Lydia Steinbacher: Wolgaland. 240 Seiten, Septime, Wien 2022 EUR 22,70