Ausgeliefert!

Im deutschsprachigen Raum hat das Thema der Unterbringung von Heimkindern in den letzten Jahren einiges an Aufmerksamkeit erfahren. In Anja Röhls aufgezeichneten Fallbeispielen geht es um 23 Kinder, die nur für eine kurze Zeit (ca. 6–12 Wochen) nach 1945 ihren Aufenthalt in Kinderkur- und Erholungsheimen verbringen. Die Gründe für ihre Entsendung sind die Armut der Eltern, zerrüttete Familienverhältnisse sowie, dass die Kinder unterernährt oder kränklich sind. Oft ist die Unterbringung geprägt von autoritärer, schwarzer Pädagogik mit einem überaus strengen unmenschlichen Sanktionskatalog und Missbrauchserfahrungen, so dass die Kinder noch Jahrzehnte später darunter leiden. Ihre seelische Verstörung aus dem negativen Heimaufenthalt wirkt sich für sie besonders nachteilig aus, wenn ihnen bei ihrer Rückkehr in ihre Familie von ihren Eltern keinerlei Glauben für ihre schmerzhaften Erlebnisse entgegengebracht wird. Das allgemeine Misstrauen gegenüber der Erwachsenenwelt zementiert sich dadurch. Das gebrochene Schweigen dieser Menschen macht nachvollziehbar, wie die NS-Pädagogik sich nach 1945 unmittelbar fortsetzt. Vielleicht hätte neben der Verdeutlichung der Traumata der Kinder das Thema der Resilienz stärker einbezogen werden können.
ML
Anja Röhl: Heimweh – Verschickungskinder erzählen. 228 Seiten, Pyschosozial-Verlag. Gießen 2021 EUR 25,60