Capitalism kills

Eine kleine Bande von Straßenkindern bricht in Häuser und Wohnungen von reichen Bewohner*innen Buenos Aires‘ ein. Ihr Erfolgskonzept: keine Spuren hinterlassen und von allem immer nur ein bisschen mitnehmen. Die Bewohner*innen der beraubten Häuser und Wohnungen bemerken oft erst Wochen später, dass bestimmte Stücke im Haushalt fehlen. Nie erwischt werden die kleine Diebe nicht zuletzt deswegen, weil sie mit dem Leiter einer privaten Sicherheitsfirma zusammen arbeiten. Guida ist wie ein Zuhälter. Er lässt, wie seine Kollegen, etliche Straßenkinder für sich arbeiten und steckt den größten Teil des Gewinns ein. Ismael und Enana sind ein Paar. Enanas Bruder, Ajo, gerade mal sechs Jahre alt, kommt auch durch das kleinste Fenster in jede Wohnung. Für die Drei läuft es nicht schlecht. Die Polizei lässt sie in Ruhe, sie müssen nicht hungern und teilen sich einen alten Eisenbahnwaggon mit einer anderen Kindergang. Aber Guida hat andere Pläne. Er verkauft sie an Sicherheitskollegen in Uruguay, wo sie ein unerfüllbarer Auftrag erwartet. Schon auf den ersten zwanzig Seiten wird klar, dass die Reise nach Uruguay kein gutes Ende nehmen wird. Für die uruguayanische Bourgeoisie ist ein Tablet mehr wert als ein Kinderleben. Phänomenale Kritik an der Kleinfamilie und ihrer Moral – Argentinische Autorinnen haben im Moment viel zu sagen. Rasant, brutal und herzzerreißend.

Beate Foltin

Lucía Puenzo: Die man nicht sieht. 203 Seiten, Aus dem arg. Spa. von Anja Lutter, Wagenbach, Berlin, 2020 EUR 13,40