Das Trauma überwinden

Die in Ostberlin aufgewachsene Jüdin Nike, studierte Judaistin, geht für ein Jahr nach Tel Aviv, um dort eine Konferenz über Juden in Deutschland nach 1945 vorzubereiten. Sie möchte damit dem gleichförmigen Funktionieren entkommen, das ihr schon lang als Überlebensstrategie nach einer gewalttätigen Beziehung dient. Zugleich will sie nach Israel, um sich mit ihrer jüdischen Familien­geschichte auseinanderzusetzen. In Berlin wohnt sie zufällig dort, wo ihre Urgroßmutter Dora aufgewachsen ist. Von ihrer Großmutter Rosa weiß sie lediglich, dass deren Mutter Dora 1941 in Frankreich umgekommen ist. Rosa selbst ist als junge Frau in die DDR gezogen, hat den Kommunismus als Strategie gegen den jüdischen Opferstatus gewählt und redet ungern über die Vergangenheit.
Konterkariert wird die Geschichte Nikes von der Noams, Sohn einer nach Israel ausgewanderten deutschen Jüdin, Tochter von Holocaust-Überlebenden. Miri lässt nach dem Tod ihres Mannes Avraham den fünfjährigen Noam bei seinem Onkel Asher zurück. Noams Kindheit ist durch Verwahrlosung, Gewalt und sexuellen Missbrauch geprägt. Die intensive Liebesgeschichte zwischen Nike und Noam wird als leidenschaftlicher Versuch beider kenntlich, ihre als persönliche Gewalterfahrungen virulenten historischen Traumata gemeinsam zu überwinden. Die an Projektionen reiche Beziehung entkommt der Wiederkehr des Verdrängten nicht und scheitert dramatisch am internalisierten Sexismus Noams. Aber Nike hat mehr über Dora und sich selbst herausgefunden.
SaZ
Mirna Funk: Zwischen Du und Ich. 304 Seiten, dtv, München 2021 EUR 22,70